Gelungene Integration in Ostwestfalen

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Wie Jochen Viehoff zu Paderborn paßt
oder
Gelungene Integration in Ostwestfalen


10. Mai: Einmal traf ich Jochen Viehoff in Paderborn. Jochen Viehoff ist eigentlich aus Wuppertal und bekannt geworden als Fotograf. Ich sah ihm gleich an, daß ihm unser Treffen peinlich war, als hätte ich ihn bei etwas erwischt, das besser unter uns bleiben sollte. Er ging mit drei Paderborner Frauen durch den kleinen VW Park und streichelte seinen Hund. Ich nenne diesen Park immer VW Park, weil ich immer durch ihn gehe, wenn ich meinen VW zur Werkstatt bringen muß und dann den Rückweg zu Fuß bewältige. Jochen Viehoff strahlte. Er schaute in die Sonne und blinzelte. Wuppertaler sind immer überrascht, wie stark die ostwestfälische Sonne Entgegenkommende ausleuchten kann. Jochen Viehoff ist Fotograf. Er kann dieses Licht einschätzen und setzt diesen Effekt auch oft in seinen Fotos ein. Er lächelte mich also an. Seinem bergischen Charme ist jeder Paderborner gleich verfallen. Trotzdem war ich überrascht, wie schnell er sich in kurzer Zeit hier eingelebt hatte. Er sprach sogar Paderborn richtig aus, so als würde er dabei Pumpernickel kauen. Seine Hundeausführgruppe wartete auf ihn. Man wollte nicht mehr ohne ihn sein. So stelle ich mir gelungene Integration vor. Er fiel als Wuppertaler unter den Paderbornern nicht mehr auf. Kompliment. Er war Teil der Gruppe geworden, die alle mit ihren Hunden dem Alltag trotzten. Seinen Wuppertaler Akzent hörte nur noch ein Wissender heraus. Jochen Viehoff hatte seine Hausaufgaben gemacht. Wahrscheinlich ging er mit seinen Paderborner Freunden ins Theater und später trafen sich alle beim Italiener. Ich wollte trotzdem rufen: „Paßt auf, er ist ein Wuppertaler.“ Ich wollte warnen: „Er ist kein Paderborner, das Bergische Land hat ihn geprägt.“ Bis auch ich erkannte. Vielleicht ist es nicht so wichtig, woher man kommt. Die Wuppertaler haben eine Schwebebahn und schauen öfters in den Himmel. Machen wir Paderborner es nicht genauso? Nur aus anderen Gründen. Wuppertaler parken ihre Autos immer in Ebenen. Sie trauen keinen Handbremsen und sind auch in Beziehungen eher vorsichtig. Aber können wir Paderborner nicht davon lernen? Nachher war ich stolz auf meine Paderborner Mitbürger, die so unbefangen mit dem Fremden und Anderssein umgehen können. Ich schaute der Gruppe um Jochen Viehoff noch lange nach. Pina Bausch hätte ein Tanzstück aus dieser Begegnung gemacht. Ich winkte mit großer und übertriebener Geste. Alle winkten zurück.



© Erwin Grosche - für die Musenblätter 2012
Redaktion: Frank Becker