Richard Wagner und Mathilde Wesendonck

Jörg Aufenanger beleuchtet eine Künstlerliebe

von Robert Sernatini
Tristan und Isolde

Es ist erfrischend, einmal ein völlig unverklärtes Buch über Richard Wagner, sein wechselvolles Leben, seine von der Liebe zu seiner verheirateten Muse Mathilde Wesendonck (und vice versa) beeinflußte Tondichtung, sowie über all seine Affairen nebenbei, seine Pleiten, Capricen und Eitelkeiten, sein von Skrupeln freies Pumpgenie, ja sagen wir es doch offen: sein Schnorrertum und seine Großmannssucht (immer auf Kosten anderer) zu lesen. Jörg Aufenanger, dem schon verschiedene biographische Aufzeichnungen, vornehmlich über Personen des 19. Jahrhunderts zu verdanken sind, hat sich dieses Themas mit offensichtlichem Genuß und profunder Sachkenntnis angenommen. Sein Buch "Richard Wagner und Mathilde Wesendonck - Eine Künstlerliebe" beleuchtet ein entscheidendes Segment aus dem Leben des Schöpfers des "Rings", nämlich die Jahre der innigen Verbindung des Tondichters mit der Seidenhändlersgattin in Zürich von 1852-1858.

Eine aufsehenerregende Affaire war das schon damals, als die Nachrichten noch nicht so schnell transportiert wurden wie das heute der Fall ist. Doch auch ohne Telefon, E-Mail oder Luftpost nahm die Öffentlichkeit sehr bald wahr, welch tiefe und durchaus gesellschaftswidrige Verbindung zwischen den beiden angeblich nur platonisch Liebenden entstand. Nun gut, solche und ähnliche Verhältnisse hat es gegeben, solange sich Männer und Frauen begegnen - doch die Pikanterie dieser Amour fou ist schon eine besondere, hat doch der (nennen wir es ruhig beim Namen) gehörnte Otto Wesendonck in grenzenloser Verehrung für den "Meister" zu allem Überfluß die ganze Zeit über den Hasardeur und notorischen Schürzenjäger Wagner mit Geld, Sachwerten, Reisen, ja schließlich sogar einem eigenen Haus in Rufweite der Geliebten unterstützt. Daß jener, selber verheiratet, wahrlich nichts anbrennen ließ, ist aktenkundig. Nun hat er Wagner sogar auf dem Grundstück der eigenen Villa ein Häuschen bauen lassen, das "Asyl", welches dieser als Sprungbrett in die Wesendoncksche Wohnstube benutzt, sooft der Hausherr aushäusig ist, oft genug auch, wenn er da ist. So unverfroren muß man wohl sein. Als es dem Düpierten schließlich reicht, er Wagner vor die Tür setzen will, droht Mathilde, sich vom Balkon zu stürzen. Als Wesendonck das später Francois Wille erzählt, sagt der nur: "Wesendonck, das nächste Mal sagen sie: Allez hopp, Mathilde!"

Eine geradezu groteske Wendung nimmt die Geschichte mit dem Auftauchen des Italieners Francesco de Sanctis 1856, der wie Wagner, die Wesendoncks und viele andere zu dieser Zeit wegen politischer Betätigung oder Teilnahme an Aufständen fern der Heimat Exil in der Schweiz suchte. Mathilde Wesendonck zeigt sich auch diesem Entwurzelten, einem Intellektuellen von feiner Lebensart, zugeneigt, zum größten Ärger Wagners, der vor Wut schnaubt, in de Sanctis wohl durchaus zu Recht einen Nebenbuhler sieht. Jörg Aufenanger behandelt auch diese Episode höchst delikat und bringt neben der nötigen Sachkunde - er hat sorgfältig nur in Original-Dokumenten recherchiert - vor allem den humorvoll nonchalanten Erzählstil ein, der seine Bücher so unterhaltsam macht. Mit dem Ende der
Mesalliance  schlägt auch Aufenanger seine Aufzeichnungen über dieses Kapitel zu.

Wir verdanken Richard Wagner und Mathilde, die als Agnes Luckemeyer in Elberfeld geboren wurde und die Umbenennung in Mathilde (Wesendoncks erste Frau, die schon nach wenigen Wochen Ehe starb, hieß Mathilde, und nach ihr nannte W. ohne jedes Feingefühl die arme Agnes) widerspruchslos hingenommen hatte, die "Wesendonck-Lieder", die Oper "Tristan und Isolde" als Spiegel ihrer Liebe - und das Buch Jörg Aufenangers. Wenn Anfang 2008  anläßlich des 125. Todestages Wagners
die Welt mit Wagner- Literatur überschwemmt wird, haben wir das vielleicht wichtigste, gewiß aber unterhaltsamste Buch zum Thema bereits gelesen.

Beispielbild


Jörg Aufenanger
Richard Wagner und Mathilde Wesendonck
Eine Künstlerliebe

© 2007 Patmos Verlag

198 Seiten, geb. m. Schutzumschlag
19,90 €

Weitere Informationen unter:
www.patmos.de