Der neue Personalausweis

von Erwin Grosche

Der neue Personalausweis
 
Als er sich seinen neuen Personalausweis auf dem Paderborner Einwohnermeldeamt abholte, mußte er nur den Empfang quittieren und bestätigen, daß er sich damit nicht im Internet ausweisen wollte. Im Leben eines Menschen gibt es Ereignisse, die seine Stellung in der Gesellschaft festigen. Die Herausgabe eines Personalausweises kann ein solcher Höhepunkt sein. Sollte nicht dieser Tag nicht nur dokumentiert, sondern auch gefeiert werden? Wie trostlos wurde dieser Augenblick auf dem Einwohnermeldeamt gestaltet. Kein „Bravo“ wurde ausgerufen. Niemand ließ ihn hochleben. Kein Bürgermeister umarmte ihn und begrüßte ihn als offizielles Mitglied seiner Stadt. Wo sang ein Chor von der Schönheit seines Paßbildfotos, welches auch ohne zu lachen, Charme und Stolz ausstrahlte? Kein Erzbischof wünschte ihm Gottes Segen und daß er dadurch in den nächsten zehn Jahren nur glückliche Stunden erleben soll. Niemand brachte ihm Blumen, keiner schenkte ihm Sekt ein, keine Sachbearbeiterin küßte ihn. Sicher, vielleicht ist es von einer Behörde zuviel verlangt, bei einer solchen Dienstleistung gleich den neuen Paßinhaber zu Kaffee und Kuchen einzuladen, aber ein wenig feierlicher könnte die Übergabe schon gestaltet werden. Ein Personalausweis ist schließlich nicht nur ein Dokument. Man kann sich damit auch Luft zufächeln. Immerhin, wie ich später entdeckte, stand auf meinem Paß die Telefonnummer der kleinen Übergabemaus. Ein Freund von mir fand sein Ausweisfoto auf der Sachbearbeiterinnentoilette wieder, als Raumschmuck. Es gibt auch bei Behörden menschliche Regungen, die einen immer wieder überraschen können.
 
 

© 2012 Erwin Grosche - Erstveröffentlichung in den Musenblättern