Nur die Namen sind anders...

Konrad Beikircher - "Als Strohhalme noch aus Stroh waren"

von Frank Becker
Nur die Namen sind anders…
 
 
Gemildert zeigt Erinnerung das Leben
Im wehmutsvollen, aber ruh´gen Lichte,
Wo Hell und Dunkel ineinanderschweben.
 
(August Graf von Platen-Hallermund, 1822)
 
Zauber der Kindheit! Wie gerne erinnern wir uns an die unbeschwerten Tage, in denen unsere kleine, überschaubare Welt noch in Ordnung war. Doch, doch, sie war in Ordnung, denn wir waren ja noch aller wirklich existenziellen Sorgen ledig. Was uns damals bedrückte, bewegte, ängstigte oder glühend begeisterte, wird in der Rückschau zur zärtlich gehüteten Marginalie einer tief im Herzen bewahrten glücklichen Vergangenheit.
„Ruhe der Kindheit! Himmlische Ruhe! Wie oft steh´ ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken! (...) Ja! ein glücklich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist. - Es ist ganz was es ist, und darum ist es so schön. Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht! Im Kind ist Freiheit allein. - In ihm ist Frieden! Es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts.
Aber das können die Menschen nicht leiden. Das Göttliche muß werden, wie ihrer einer, muß erfahren, daß sie auch da sind, und eh es die Natur aus seinem Paradiese treibt, so schmeicheln und schleppen die Menschen es heraus, auf das Feld des Fluchs, daß es wie sie im Schweiße des Angesichts sich abarbeite.
Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht weckt."
, schreibt Friedrich Hölderlin 1797 in seinem „Hyperion“.
 
Deshalb ist das Erinnern daran für fast alle ein seliges Einhüllen in die wohligen Tücher der Kinderzeit, als die Welt aus dem Elternhaus, der Gasse, in der man spielte, einem überschaubaren Ort mit Schule, Kameraden und irgendwann auch dem Entdecken der Liebe bestand. Der im Südtiroler Pustertal, genauer: Bruneck geborene und aufgewachsene Schriftsteller, Kabarettist, Musiker, Chansonnier, Psychologe und nicht zuletzt Musenblätter-Kolumnist Konrad Beikircher, ein Allround-Künstler und warmherziger Beobachter, der seit Jahrzehnten im Rheinland lebt, hat diesen Blick zurück getan und seine Erinnerungen aufgeschrieben, die den eingängigen Titel „Als Strohhalme noch aus Stroh waren“ tragen. Diese wunderbare Titelpointe trifft akkurat und mit Witz das Empfinden einer verlorenen, im Rauch der eilenden Zeit aufgegangenen Phase unseres Lebens – und ein jeder, eine jede kann das ganz für sich allein und die eigene Erinnerung umsetzen. Besucher der Bühnenprogramme von Konrad Beikircher kennen einige der dort geschilderten Begebenheiten in Auszügen, denn immer mal wieder baut er sie mit Charme insbesondere in seine Liederabende ein. Bruneck – das muß ein Paradies gewesen sein. Aber waren das nicht auch Niederschönhausen, Offenbach und Wipperfürth, Rosenheim und Pirna, Deutschneudorf und Altona? Denn der Glanz der Verklärung legt sich über die Bilder, sobald wir sie denken. Das ist auch gut so, ist doch die Erinnerung „das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können" (Jean Paul, d.i. Johann Paul Friedrich Richter, 1763-1825).
 
Und so lassen wir uns von Konrad Beikircher, einem praktizierenden Nostalgiker mitnehmen, vergessen beim Schmökern des bei aller Heiterkeit tiefgründigen Bandes das Hier und das Jetzt, tauchen mit in des kleinen Konneles aufregendes Leben ein, lassen uns nur zu gern berühren (das kleine Kapitel über Tante Hilli tut das z.B. besonders) und von Anekdoten über Kinderstreiche und Mißgeschicke, die ersten deutschen Touristen, die Entdeckung begehrenswerter Mädchen und verwirrender Frauen, seine Begegnung mit der Musik, Konrads Schwimmunterricht,
Eisdielenerinnerungen oder seinen Eintritt ins Bozener Antonianum und das erste selbstgebastelte Radio. amüsieren. Die mundartlichen Südtiroler Einschübe machen die Erzählungen authentisch, sie bedürfen keiner Übersetzung. Man kann auch – und das verdoppelt den Genuß, bei der Lektüre das vom Verfasser selbst ungekürzt gelesene Hörbuch in den CD-Spieler einlegen und sich mit seiner unverwechselbaren sympathischen Stimme im O-Ton vorlesen lassen (die Liedstellen singt er natürlich), gelegentlich das Buch zur Seite legen und sich wegtragen lassen, träumen.
„Zum Anhören empfehle ich ein Glas St. Magdalener oder gerne St. Justina, ein paar Scheiben Südtiroler Speck und ein Schüttelbrot. Dann sollten Sie sich zurücklehnen und entweder seufzen: Nee, wat hatten die et schön! Oder sagen können: Genau wie bei mir, nur die Namen sind anders! So wünsche ich Ihnen, dass Sie Ihre eigene Kindheit sehen, wenn ich Ihnen meine erzähle!“ (Konrad Beikircher im Klappentext und Vorwort des Buches.) Dem ist nichts hinzuzufügen.
„Als Strohhalme noch aus Stroh waren“ gehört zu den derzeit schönsten und liebenswertesten solcher Erinnerungsbücher. Zur Lektüre empfohlen und von uns mit dem Musenkuß belohnt.


Konrad Beikircher - Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher – „Als Strohhalme noch aus Stroh waren“ – Eine Kindheit in Südtirol
© 2012 Kiepenheuer & Witsch, 1. Aufl., 174 Seiten, gebunden, ISBN-10: 3462043897 ISBN-13: 9783462043891
16,99 € (als E-Book 14,99 €)
 
Konrad Beikircher – „Als Strohhalme noch aus Stroh waren“ - Eine Kindheit in Südtirol - Hörbuch
© 2012 Roof Music/tacheles! – 4 CD, ungekürzte Lesung durch den Autor - ISBN-13: 9783941168916 – Gesamtzeit ca. 350 Minuten
17,99 €