Miniaturen aus einer Nachkriegskindheit

Jörg Aufenanger - "Bin ich nun ein Trümmerkind..."

von Robert Sernatini

Umschlagillustration: Lutz Brandt
Miniaturen aus einer Nachkriegskindheit

In „Bin ich nun ein Trümmerkind ...“ erzählt der schon lange in Berlin lebende Journalist und Buchautor Jörg Aufenanger in dreiundsechzig Miniaturen von seiner Kindheit nach dem 2. Weltkrieg im bergischen Wuppertal, das schwer unter den alliierten Bombenangriffen gelitten hatte. Wie bei vielen autobiographischen Aufzeichnungen über eine Kindheit ist es zwangsläufig ein lückenhaftes Erinnern wie bei allen, die nicht von Kindesbeinen an Tagebuch geführt oder auf Tagebücher der Eltern zurückgreifen können. Unvermeidbar – wem ginge es anders? – gibt ein Schuß Melancholie der Spurensuche ein bittersüßes Aroma. Licht und Schatten der Vergangenheit aufzuspüren, kommt einer Analyse des Ich sehr nahe. Wer war ich – und wer bin ich heute? Ein Faden reicht stets ins Heute, aus dessen Distanz Aufenanger erzählt. Er ist glücklicherweise im Besitz des Handwerks eines geübten Feuilletonisten, das Schreiben geht ihm leicht von der Hand, was auch die Lektüre leicht macht
 
„Bin ich nun ein Trümmerkind, da ich zwischen Trümmern erstmals ein Mädchen geküßt (…) habe?“, beginnen diese oft nur in Streiflichtern skizzierten, dann wieder ausführlich erzählten Erinnerungen. Das wird der Flüchtigkeit mancher Erinnerungen und Eindrücke zuzuschreiben sein. Ein Kind prägt, was es erlebt hat – und es prägt sich ein, was von Bedeutung war. Um auf den Anfang und Titel zurückzukommen: Nein, er war/ist kein Trümmerkind. Zwar hat der vaterlose Knabe Jörg Aufenanger auf einem der wenigen Trümmergrundstücke des im wesentlichen von Bomben verschont gebliebenen Teils Wuppertals gespielt, aber er hatte das Glück, in einer einigermaßen geordneten Umgebung aufzuwachsen. Der Zoo war in unmittelbarer Nachbarschaft – damals mit den schönsten Restaurant Westdeutschlands! -, die einzigartige Schwebebahn mit ihrem charakteristischen Kreischen in den Kurven ebenso. Es gab ein Radio im Haushalt der Mutter, auf dem der Junge nachts Beromünster, Hilversum und Ljubljana hörte. Erinnert das nicht viele der Generation über 60 an das eigene Abenteuer, über den Lautsprecher die Welt zu erfahren? Später sollte Jörg Aufenanger selbst viele Sendungen für den Rundfunk machen.
 
Das eigene Wiedererkennen ist es, was Kindheitserinnerungen besonders für die Generationen so lesenswert macht, deren eigene Lebensspanne sie beschreiben. Währungsreform, „Echo des Tages“, NWDR, Vaterlosigkeit, Lastenausgleich, Kinderlandverschickung an die See (zum Zunehmen), Volksschulklassen mit 38 Kindern, Samba-Expreß, Scherenschleifer, Ohrfeigen, Sonntagsausflug. Stichworte vieler Kindheiten zwischen 1945 und 1955.
Was Jörg Aufenanger erzählt, ist so dicht am Leben, daß es vor allem für Leser der Region um Wuppertal und das Bergische Land eine Fahrkarte für eine Zeitreise ist. Wie war das eigentlich damals bei uns, bei mir? Ein lesenswertes kleines Buch.
 
 
Jörg Aufenanger – „Bin ich nun ein Trümmerkind ...“
Miniaturen aus einer Nachkriegskindheit
© 2012, Paperback, 116 Seiten - ISBN 978-3-935421-83-6
10,50 Euro
 
 
Weitere Informationen: www.nordpark-verlag.de