Marienkäfer machen nicht mehr mit

Satire

von Andreas Greve
Das Ende der endlosen Feste:
Marienkäfer machen nicht mehr mit
 
Satire von Andreas Greve
 
Vor Zeiten hielten die Marienburger Marienkäfer einmal im Jahr ihr Sommerfest. Alle kamen, jeder Marienkäfer brachte etwas zu essen mit, und einige hatten ihre Musikinstrumente dabei. Das war alles, und das war schön, und so ist es noch heute.
 
Zwischen damals und heute gab es aber eine Zeit, da war einigen Marienkäfern dieses eine Fest nicht genug. Deshalb erfanden sie den „Tag des Flügels“. Da wurden die schönsten Flügel prämiert. Es wurde Musik gespielt, und man konnte an der Salatbar stehen.
 
Einigen Marienkäfern war das nicht genug, und sie erfanden die „Musiktage in der Marienkäfer-Kirche“. Es wurde zwar Musik gemacht, aber eine Salatbar gab es in der Kirche natürlich nicht. Damit waren einige Marienkäfer unzufrieden und sie erfanden die „Marienberger Brüll- und Schreitage“. Dabei  wurde gebrüllt, geschrien und Musik gemacht, und man konnte an der Salatbar stehen. Das war einigen Marienkäfern nicht genug und sie erfanden die „Woche des Punktes“. Man zeigte seine Punkte, diese wurden gemessen, gewogen und die schönsten sogar ausgestellt. Dazu wurde Musik gespielt und man konnte tagelang an der Salatbar stehen.
 
Das Sommerfest brauchte man nicht zu erfinden, aber Musikinstrumente brachte keiner mehr mit, weil die Festmusik sowieso alles übertönte. Essen brauchte man auch nicht mehr mitzubringen, weil man ja an der Salatbar stehen konnte. Allerdings taufte man das Sommerfest in „Mittsommer-Super-Fest“ um. So konnte man es leichter vom „Frühsommerfest“ und vom „Spätsommerfest“ unterscheiden. Die hatte man sich nämlich auch noch ausgedacht – schöne Feste, bei denen man Musik hören und an der Salatbar stehen konnte.
 
Am Abend vor jedem großen Fest wurde noch ein kleines Fest gegeben. Das war für die, die beim großen Fest etwas darstellen, etwas ausrichten oder darüber berichten sollten. Hier gab es keine Salatbar, sondern leckere Sachen vom Marienkäfer-Party-Service. Den Winter, den man sonst schlafend verbrachte, taufte man in „Marienberger Schlafzeit“ um, und alle, die wegen der lauten Musik nicht schlafen konnten, mußten an der Salatbar stehen.
 
Keiner konnte mehr ein Fest vom anderen unterscheiden. Es gab keinen Winkel in Marienberg, wo man nicht irgendwann Musik hören mußte. Um von hier nach da zu kommen, mußte man kilometerlange Umwege in Kauf nehmen, weil die „längste Salatbar der Welt“ den Weg versperrte. Kaum einer konnte noch Feste feiern, kaum einer wollte noch Feste feiern. Es gab nur noch einen Tag im Jahr, an dem nicht gefeiert wurde. Die Wende kam, als einige wenige Marienberger diesen Tag zum „Fest der Feste“ machen wollten. Es sollte das Fest sein, wo gefeiert wurde, daß es all die anderen Feste gab.
 
Da platze den Marienberger Marienkäfern endlich der Kragen! Wie auf Kommando stürzten sie sich brüllend und von allen Seiten auf „die längste Salatbar der Welt“. Sie rissen, sie zerrten, sie schoben, sie schlugen, sie drückten, sie hoben. Sie brachten die Musik zum Schweigen und trampelten auf alles, was nach Salatbar roch. Es ging ruppig zu, und doch werden die Marienkäfer diesen Tag nicht vergessen. In gewisser Weise war es das schönste Fest seit ewigen Zeiten. Endlich wußte man einmal, was man feierte: Das Ende der endlosen Feste. Seit jenem Tag gab es in Marienberg keine Salatbar mehr und die Musik wurde wieder von Hand gemacht. Einmal im Jahr also halten die Marienberger Marienkäfer ihr Sommerfest. Jeder bringt etwas zu essen mit, einige haben ihre Musikinstrumente dabei, man erzählt sich was. Und alle sind zufrieden.
 
 
 
© Andreas Greve