Wanderlied

von Hanns Dieter Hüsch
Wanderlied
 
Ich wandre immer in Gedanken
Durch mein Niemandsland
Dort liegen alte Hände große Spaten
Späte Grüße im weißen Niemandssand
Dort wachsen blaue Gräser Krüppelbäume
In meinem Niemandssumpf
Dort springen krause Träume in der Frühe übers Moor
Dort sitzt der Mond am späten Nachmittag
Schon auf des Milchmanns Rumpf
Dort jagt die Trommel kalt die Bauern aus dem Bett
Und schlägt der Küster wild die Glocken
Singen Knaben sehr lateinisch im Quartett
 
Ich wandre immer in Gedanken
So durch meine Niemandsstadt
Wo in den Fenstern schon das Moos wächst
Kein Mensch Mitleid hat
Wo auf dem Friedhof sich die Weiden biegen
Und die Astern stinken
Wo manchmal noch drei Kopftuchtanten
Aus der Apotheke winken
Wo gelbes Licht sich eitel Heimat schimpft
Und man die Kinder gegen Außenseiter impft
 
Halleluja uja uja
Weiß mir ein Blümlein blöde
Das wächst in meinem Herzen
Das blüht in meinem Kopfe
Macht Freude mir und Schmerzen
Ist voller Spott und spröde
 
Ich wandre nicht durch Birkenhaine und Zitronengrün
Kein Mensch sieht mich auf Stoppelfeldern und beim Spatenstich
Ich wandre durch meine Niemandsstadt
Vielmehr sie wandert stets durch mich
 
Mit ihren Tropfsteinkellern ihren Zwiebelmusterküchen
Mit ihren kleinkarierten Bettbezügen
Mit ihren Fliegenschränken und Familiensprüchen
Mit ihrem Sonntagsausflug ihren Turnerriegen
Mit ihren konfessionsbewußten Kaffeekränzchen
Mit ihren Oster Pfingst und Erntedankfesttänzchen
Mit ihren Schwänen die nach Zwieback schrein
Mit ihrem Heimat Tier Natur und Schutzverein
Mit ihren eingemachten Bohnen aus dem Faß
Mit ihrem Fleiß die andern zu besiegen
Mit ihrem hausgemachten Haß
Mit ihren Augen die durch Wände fliegen
 
Halleluja uja uja
Weiß mir ein Blümlein grau
 Das zuckt in meinem Herzen
Das klopft in meinem Kopfe
Macht Freude mir und Schmerzen
Und ist mal dumm mal schlau
 
Es fließt durch mich der Niemandsfluß
Er treibt mich fort da wird kein Halt sein
Er lehrt mich rechnen minus plus und möchte will und kann und muß
Am Ende wird ein unheimlicher Wald sein
Ein Wald von Sprüchen Zahlen Augen Ohren viele Hände
Und es wird höllisch kalt sein
Es fließt durch mich ein sinnloses Gelände
Ich werde alt sein
Und alles Wandern hat ein Ende
 
Halleluja uja uja
Weiß mir ein Blümlein blaß
Das schläft in meinem Herzen
Das stirbt in meinem Kopfe
Bracht Freude mir und Schmerzen
Und lebte nur zum Spaß
Halle lu hu ja
 
 
Hanns Dieter Hüsch


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Das schwarze Schaf vom Niederrhein" in den Musenblättern
mit freundlicher Genehmigung