Jazz und Lyrik

Thärichens Tentett - „An Berliner Kinder“

von Frank Becker
Geht unter die Haut

Die Gedichte von Joachim Ringelnatz (d.i. Hans Bötticher) wurden schon oft und gerne vertont, interpretiert, gesungen. Viele Brettl-Programme haben hervorragend davon gelebt. Das ist, wenn auch etwas seltener, bei den Lautpoesien und Gedichten Hugo Balls gleichermaßen der Fall. Doch so faszinierend, wie es jetzt auf dem neuen Album "An Berliner Kinder" von Thärichens Tentett (+1) zu hören ist, haben wir das noch nicht erlebt. Thärichens Tentett - mit leichter personeller Veränderung - hat sich erneut als Garant für ein nicht nur ausgefallenes, hervorragendes, sondern nachgerade delikates Hörvergnügen erwiesen.

Die Besetzung ist hochkarätig: Thärichen hat wieder das „Lone World Trio“ mit Kai Brückner, Johannes Gunkel und Jan von Klewitz in das Tentett integriert und einen exzellenten Sänger an der Seite der Instrumente: Michael Schiefel, der sich
in den kongenialen Vertonungen der von Nicolai Thärichen ausgewählten Lyrik virtuos und wandelbar bis zum konterkarierenden Falsett bewährt. Sven Klammer brilliert ebenso seelenvoll an Flügelhorn und Trompete wie Johannes Gunkel und Pepe Berns alternierend am Kontrabaß. Gemeinsam amüsieren uns nach dem von Schriefel geschriebenen Intro auf die deutsche Sprache die Holzbläser mit den Blockflöten-Anfangsakkorden von Thärichens Musik zu Ringelnatzens frechem Titelstück "An Berliner Kinder". Deutlicher und jazziger als in dieser Fassung wurde Ringelnatzens Botschaft nie vermittelt. Das Arrangement - wie auch alle anderen von Nicolai Thärichen - ist ein Meisterstück. Um das jetzt nicht alle paar Zeilen sagen zu müssen: es gilt für das ganze Album.

Die Abschiedsballade "Aus" von Ringelnatz geht unter die Haut - so hat es der allzu früh gestorbene Dichter (1883-1934) wohl auch gewollt. Und daß Thärichen dem nahtlos J.S. Bachs barocke "Arie der Wollust" aus BWV 213 "Schlafe, mein Liebster", von Schiefel gekonnt gescattet, folgen läßt, kommt nicht von ungefähr. Nach einem weiteren Ausflug in die lyrische Vergangenheit mit William Shakespeares Sonett Nr. 87 "Farewell! thou art too dear for my possessing" (deutsch von Christa Schuenke) wird das Ensemble auch Hugo Balls Dada-Poesie gerecht. Die Bläsersätze in "Der Schizophrene" stellen eine Klasse für sich dar, die Sehnsucht Balls in "Abschied" geht unter die Haut, seine Lautpoesien in "Totenklage" und "Seepferdchen und Flugfische" sind meisterlich umgesetzt worden. Apropos Seepferdchen - auch Ringelnatz kommt noch dreimal zu Wort: erotisch in "Ferngruß von Bett zu Bett", burlesk in "Genau besehen" und besonders liebevoll mit Johannes Gunkel am Kontrabaß in "An M.".

Ein mustergültiges Booklet mit allen Texten, künstlerisch gestaltet von Gero Desczyk, rundet den perfekten Eindruck dieses ganz außergewöhnlich gelungenen Albums, das ebenso hoch gelobt auf unserer Hörbuch-Seite hätte untergebracht werden können. Etwas ähnlich überzeugendes des Genres Jazz + Lyrik wird selten zu finden sein. Deshalb unsere Auszeichnung: den Musenkuß.

Texte von und zu Joachim Ringelnatz finden Sie natürlich auch in den Musenblättern, nämlich   hier.

Das Album kommt am 28.9.2012 in den Handel. Vormerken!
Beispielbild
Cover: Gero Desczyk

Thärichens Tentett
„An Berliner Kinder“
 
Michael Schiefel - Gesang
Sven Klammer - Trompete, Flügelhorn
Jan von Klewitz - Saxophone, Klarinette
Andreas Spannagel - Tenorsaxophon, Flöte
Nikolaus Leistle - Baritonsaxophon, 
Baßklarinette
Sören Fischer - Posaune
Kai Brückner - Gitarren
Johannes Gunkel - Kontrabaß
Pepe Berns - Kontrabaß
Kai Schönburg - Schlagzeug
Nicolai Thärichen - Klavier

Produziert von Nicolai Thärichen
© 2012 Double Moon Records
 
Titel:
1. Deutsch  4:57
2. An Berliner Kinder  4:52
3. Aus  2:41
4. Schlafe, mein Liebster  6:48
5. König bei Nacht  4:21
6. Der Schizophrene  6:04
7. Abschied  5:05
8. Ferngruß von Bett zu Bett  6:58
9. Totenklage  3:49
10. Genau besehen  5:10
11. An M.  3:50
12. Seepferdchen und Flugfische  2:00
 
Gesamtzeit:  56:33
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