Ein Gespräch unter Abwesenden

Claudia Sowa inszeniert Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ als schonungslose Gesellschafts-Satire

von Frank Becker

Foto © Frank Becker
Ein Gespräch unter Abwesenden
 
Claudia Sowa inszeniert in Remscheid
Sartres „Geschlossene Gesellschaft“
als schonungslose Gesellschafts-Satire
 
 
Regie: Claudia Sowa – Bühnenbild: Peter Strieder – Kostüme: Lolita Erlenmaier – Ton und Licht: Nils Weiß – Bronzefigur auf der Bühne: Claude-Pierre Striedent
Besetzung: Björn Lukas (Garcin) – Kristina Otten (Estelle) – Verena Sander (Inés) – Björn Lenz (Kellner)
 
Im Höllen-Salon

Remscheid. Für die drei Protagonisten Garcin (Björn Lukas), Estelle (Kristina Otten) und Inés (Verena Sander) ist eine – so formuliert es Garcin diplomatisch – „schiefe Situation“ eingetreten. Schiefer geht es wohl nicht, denn alle drei sind tot - auch dafür findet Garcin einen Euphemismus:
abwesend" -, treffen im roten Salon der Hölle aufeinander, zusammengeführt von einem unschwer als Charon zu identifizieren blassen Kellner (Björn Lenz). Sich selbst und einander in diesem fensterlosen geschlossenen Raum überlassen – für immer und ewig und ohne erholsamen Schlaf, notabene – ist es an ihnen, entweder ein Arrangement zu treffen, das ihnen eine Existenz oder besser: Koexistenz ermöglicht oder aneinander zugrunde zu gehen. Wir reden, wie gesagt von der Ewigkeit. Die Unlösbarkeit des Dreiecks symbolisiert eine Bronzefigur auf der Mittelsäule eines runden Gründerzeit-Sofas im Zentrum der Szene.
 
Ein Krieg der Leidenschaften

Jean-Paul Sartre hat in seinem Programmstück des Existenzialismus die Hölle weit ab von Dantes

Kristina Otten, Björn Lukas - Foto © Frank Becker
brodelndem Inferno skizziert, das er im Zitat streift – Garcin: „Wo ist der Trichter?“. Es gibt weder Folterinstrumente noch Feuer, keinen Rost oder Scheiterhaufen. Der groteske Irrtum, Garcin sei der höllische Folterknecht, in den die beiden Frauen beim Eintreten in den Salon verfallen, wird schnell ausgeräumt. Sartres Hölle zeigt sich in äußerlich gepflegter Umgebung mit gelegentlicher, täuschend sanfter Fahrstuhlmusik (GEMA-frei), wenn auch heiß, sehr, sehr heiß. Mit der Frage „Worauf wartet man hier?“ hat Sartre einen deutlichen Anstoß auch für Samuel Becketts epochales Werk
Warten auf Godot" gegeben.
Kommen wir zu den drei aufgrund individueller Schuld in die Hölle gestürzten Figuren: da ist der intelligente, wortgewandte Journalist Garcin, wegen Fahnenflucht und Feigheit standrechtlich erschossen, ein Stenz, der durch aufgesetzte Nonchalance versucht, dem Unausweichlichen zu entgehen. Es wird ihm ebensowenig gelingen wie der kapriziös erotischen Estelle, einer Kindsmörderin, deren erschreckend zynische Oberflächlichkeit recht schnell unter dem Druck der Hölle bröckelt. Eher grob und unverbindlich, jedoch kompromisslos entlarvend und sexuell aggressiv zeigt sich Inés, die verzweifelt versucht mit Estelle eine Fraktion gegen Garcin zu bilden. Sie entfesseln einen Krieg der Leidenschaften, die Bekenntnisse, zu denen sie sich zwingen, schmerzen.


Verena Sander, Kristina Otten, Björn Lukas - Foto © Frank Becker
 
Auf der Klaviatur der Emotionen

Der alle drängende Wunsch nach einem Blick in einen Spiegel bleibt ihnen unerfüllt, sie werden im Dreieck zum Spiegel der jeweils anderen, müssen sich auf die getreue Wiedergabe ihres Bildes im Wort verlassen. Auch hier spielt Sartre mit der antiken Mythologie, in deren Symbolik vielfach dem Toten als Symbol für das unwiderrufliche Ende sein Spiegelbild genommen wird. In der quälenden Hitze, die das Ensemble beinahe zum Mitschwitzen körperlich vermittelt, dient in Claudia Sowas Inszenierung das sukzessive Ablegen von Kleidungsstücken auch als Symbol für das Verlieren schützender seelischer Schalen. Alle drei, facettenreich voran Kristina Otten, die in der dankbaren Rolle der Estelle hinreißend auf der Klaviatur der Emotionen spielt, entäußern sich der ganzen Palette menschlicher Gefühle von Überheblichkeit, Mißtrauen, Angst, Verzweiflung, Wut, sexueller Begierde, Verachtung, Hohn, Trauer. Und als sich überraschend die Tür nach draußen öffnet, sind sie außerstande, die Stätte der Abrechnung zu verlassen. Sie bleiben sich ausgeliefert, der Erkenntnis „Die Hölle, das sind die anderen. - Wir sind für immer zusammen. Also: machen wir weiter.“
Eine sehenswerte Aufführung. 

 
Björn Lukas, Verena Sander, Kristina Otten, - Foto © Frank Becker
 
Nächste Termine: 17. und 18.9., jeweils 10.00 Uhr für Schulen - und 19.9., 20.00 Uhr
 
Weitere Informationen, Termine und Karten: www.wtt-remscheid.de und Tel. 02191-3 22 85