Das Lexikon

von Rudolf Presber
Das Lexikon
 
Gescheite Leute sind das beste Konversationslexikon, sagt Goethe. Wer aber hat immer gescheite Leute gleich bei sich? Ich nicht. Also entschloß ich mich zum Ankauf eines Konversations-Lexikons, das die gescheiten Leute auf alle Fälle ersetzt. Dann ist man sicher, keine Unbildung zu begehen, wenn man sich vorbereitet.
Ich wählte das neuerdings rühmlich bekannte Konversations-Lexikon von J.K. Müller in siebzehn Großoktavbänden mit einem Supplementband. Dieser ist aber noch nicht erschienen. Deshalb braucht man auch bloß die siebzehn Bände zu bezahlen. Dies tat ich mit zweihundertfünfzig Mark, und war nun überzeugt, mir die Bildung gekauft zu haben.
Mittags kam das Lexikon. Abends kam ein Freund und wir stritten uns, wer das Schießpulver erfunden habe. (So unterhalte ich mich mit meinen Freunden.)
Ich behauptete, Berthold Schwarz. Er behauptete, der habe überhaupt nicht gelebt, sondern habe nur sein Denkmal in Freiburg. Denkmäler aber beweisen gar nichts.
Ich lächelte überlegen; denn ich hatte ja das Lexikon!
Ich ging an das Brett, auf dem die siebzehn Bände standen und griff mit sicherer und ruhiger Hand Band vierzehn: „Schwarz“. Ich schlug nach und erfuhr zunächst, daß Schwartz, Maria Sophia, eine schwedische Romanschriftstellerin sei, daß Schwartz, Wilhelm, auf dem Gebiet der Mythologie geforscht habe. Offenbar schrieb sich Schwarz, Berthold, bloß mit „z“.
Ich forschte nach und erfuhr, daß „Schwarz“ im Sinne der Physik nicht eine eigentümliche Farbe, sondern vielmehr die Abwesenheit allen Lichts und aller Farben sei.
Weiter, weiter! Aha – „Schwarz, Bernhard, Afrikareisender“... Wieder nichts! „Schwarz, Berthold.“ Hurra! „Franziskanermönch, angeblich Erfinder des Schießpulvers.  Siehe dieses!“
Da sich das „Schießpulver“ nicht in Band vierzehn befand, griff ich Band dreizehn und las: „Schießpulver. Neuerdings auch Schwarzpulver genannt. Siehe dieses!“
Ich holte wieder Band vierzehn und suchte „Schwarzpulver“. Mein Freund sah mir interessiert zu und lächelte, immer noch seiner Sache sicher.
Hurra! „Schwarzpulver: Auch Schießpulver genannt. Explodierendes Gemenge von Holzkohle, Schwefel und Salpeter. Siehe diesen!“ Nicht ohne leichte Enttäuschung stellte ich Band vierzehn wieder auf das Brett und nahm Band dreizehn zur Hand, in dem S-a-Salpeter stehen mußte.
Nachdem ich mich eine Zeitlang auf den „Salomonsinseln“, dann in „Salona“, dann in „Saloniki“ aufgehalten hatte, erfuhr ich, daß „salopp - unsauber, schlumpig und nachlässig“ bedeute und war endlich beim „Salpeter“. Hurra! Da stand´s: „Salpeter - Kali-Salpeter, salpetersaures Kalium. KN03. Siehe dieses!“
Seufzend suchte ich mir Band zehn. Erfuhr zunächst, daß „Kallimachus“ ein vornehmer Dichter in Libyen ums Jahr 250 gewesen. Daß hingegen „Kallipygos“ ein griechisches Wort sei und bedeute: „mit schönem Hintern“.
Endlich hatte ich „Kalisalpeter“. Hurra! Da stand zu lesen: „Kalisalpeter mit Holzkohle und Schwefelmenge ergibt Schießpulver. Siehe Schwarzpulver und Supplementband!“
Da ich aber über das Schwarzpulver schon belehrt war und der Supplementband erst in einigen Monaten erscheint, so konnte ich meinem Freund nicht versichern, daß Berthold Schwarz das Pulver wirklich erfunden hat.
Ich werde jetzt in Freiburg bei der Fakultät anfragen.


Rudolf Presber