Gone With The Wind

Jutta Hipp - „The German Recordings“

von Jörg Aufenanger
Gone With The Wind
 
Das diesjährige Berliner Jazzfest wurde mit einer Hommage eröffnet. „Remembering Jutta Hipp“. Aber wer ist diese Frau? Nur wenigen Jazzfans sagt sie heute noch etwas. Dabei hat sie als Pianistin in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht nur in Deutschland einige Platten veröffentlicht, sondern gar in den USA bei Blue Note, als erste Stimme des deutschen Jazz im Geburtsland dieser Musik. „European’s first lady of Jazz“, hat man sie dort zuweilen genannt.

Einige Aufnahmen aus den Tiefen der deutschen Archive, die sie zwischen 1952 und 55 in Baden-Baden, Stuttgart und Koblenz eingespielt hat, sind gerade auf der beim Label Jazzhaus/Arthaus Music in Zusammenarbeit mit dem SWR erschienenen  LP “The German Recordings 1952-1955“ erschienen.
Jutta Hipp ist 1925 in Leipzig geboren, soll dort schon in der Nazizeit heimlich Jazz gespielt haben. Rolf Kühn, der ebenfalls aus Leipzig stammt, hat erzählt, sie habe ihm kurz nach Ende des Krieges eine Schallplatte mit Musik von Benny Goodman gegeben, woraufhin er wie vom Blitz getroffen den Jazz entdeckt habe. Anfang der 50er Jahre hatte sie ihre Heimatstadt verlassen und wurde eine bekannte Jazzpianistin in Deutschlands Westen, spielte zwischen 1952 und 1955 in diversen Jazzclubs der Republik und Radiosendern.

So in Koblenz Ende November 1952 mit dem Tenorsaxophonisten Hans Koller, dem Bassisten Shorty Roeder und dem Drummer Karl Sanner: „You go to my head“, eine Nummer von Fred Coots. Sie ist der Höhepunkt der ersten Seite der LP, zärtlich das Spiel Hans Kollers, behutsam von Jutta Hipp am Klavier in leichten Läufen virtuos unterstrichen.
Während der erste Titel „Blues After Hours“ noch ziemlich schwerfällig daherkam, der Zug fuhr nicht so richtig ab, schien zu stocken, auch wegen Jutta Hipps uninspiriertem Klavierbaß, beginnt es in „Erroll´s Bounce“ schon leicht zu swingen. In „Gone With The Wind“ dominiert in Anmut der Tenorsax von Hans Koller, während Jutta Hipp sich vor allem dezent in seiner Begleitung zurückhält. Wunderbar der Ausklang dieser Nummer zwischen den beiden. Das Publikum applaudiert zurückhaltend, und man sieht sie vor sich, diese Jazzenthusiasten der 50er Jahre, die ein Jazzkonzert wie ein weihevolles klassisches Kammermusikkonzert goutieren, bloß nicht überborden vor Begeisterung wie zur gleichen Zeit die Rock n Roll-Fans. Cool Jazz eben. Der Cole Porter Titel „What Is This Thing Called Love“ beendet die A- Seite.

Die B- Seite schlägt andere Töne an, ein Jahr später im Studio des SWF aufgenommen, mit Albert Mangelsdorff neben Hans Koller, frischer, lebendiger, moderner. Erster Titel: „Sound Koller“, gefolgt von „Daily Double“, wozu noch Attila Zoller an der Gitarre tritt, während Joki Freund Hans Koller am Tenorsax abgelöst hat. Aber stets am Klavier und immer souveräner und leichthändiger: Jutta Hipp.
Plötzlich verläßt sie Deutschland, geht in die USA. Leonard Feather hat ihr eine Karriere dort versprochen und Ende 1955 verschwindet Jutta Hipp dorthin, gibt Konzerte, Alfred Lion von Blue Note macht einen Vertrag mit ihr, wenigsten drei Plattenaufnahmen erscheinen. Und sie tritt sechs Monate lang im „Hickory House“ auf, einem der angesagtesten Jazzclubs von New York. Dann ebenso plötzlich das Ende: Nie mehr rührt sie die schwarzweißen Tasten an. Eine kurze Karriere. Über die Gründe wird spekuliert: Alkoholprobleme? Zu großes Lampenfieber? Sie gibt auf, warum auch immer, nimmt einen Job als Näherin an, kehrt nicht mehr nach Deutschland zurück, fertigt Puppen an, malt, stirbt 2003 im Alter von 78 Jahren. Lost in the USA. Vergessen. Bis sie vor wenigen Jahren wiederentdeckt wird, die Stadt Leipzig gar eine Straße nach ihr benennt. Viel weiß man immer noch nicht von ihr, obwohl Katja von Schuttenbach sich auf ihre Spuren begeben hat, ihre Biographie verfassen will. Aber vielleicht ist es auch besser so und man hört nur ihre Musik und das begnadete Klavierspiel dieser Frau. Neben erwähnter LP findet man auch bei Youtube Aufnahmen mit Jutta Hipp. „Dear Old Stockholm“ und vor allem Take Me In Your Arms!“ Ein Vermächtnis, auch aus Verbitterung?
 
 
Jutta Hipp: „The German Recordings“ (Lost Tapes)
© 2012 Jazzhaus / Arthaus Musik / SWR, LP auf 180 g Vinyl
 
Jutta Hipp (Klavier) – Franz „Shorty“ Roeder (Kontrabaß) – Hans Koller (Tenorsaxophon) – Albert Mangesdorff (Posaune) – Rudi Sehring (Schlagzeug) – Joki Freund (Tenorsaxophon) – Attila Zoller (Gitarre) – Harry Schell (Kontrabaß)
 
A-Seite: Blues After Hours (4:41) – Erroll´s Bounce (3:29) – „Gone With The Wind“ (2:36) – You Go To My Head (4:48) - What Is This Thing Called Love (4:30)
B-Seite: Sound-Koller (4:01) – Come Back To Sorrento (3:38) – Daily Double (3:16) – Indian Summer (3:02) – Everything Happens To Me (3:45) – Serpentinen (3:15)
 
Weitere Informationen: www.jazzhaus-label.com
 
Redaktion: Frank Becker