Greves lange Shortlist

Neue Bücher - befühlt und gelesen

von Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Weychardt
Im Schnellverfahren -
Greves lange Short-List
 
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und noch immer liegen etliche unbesprochene Bücher auf meinem Schreibtisch. Asche auf mein Haupt. Mein rettender Gedanke: Dann schreibe ich sie wenigstens einmal alle hintereinander. Eine Art Short-List und eigentlich die reinste Aufzählung, nur hier und da um einige Zeilen erweitert, die kurz anreißen, worum es im jeweiligen Buch geht - oder nicht geht. Und wer es wo las…
 
Willy Astor - „schelmpflicht - wortspiel ist reinmeingebiet“ (Humor in Wort und Bild)
© 2012 Antje Kunstmann Verlag, 152 Seiten, gebunden
Wiewohl Willy Astor schon seit 25 Jahren komisch wirkt, ist er mir erst in diesem Jahrtausend zufällig auf die Mattscheibe gekommen und sofort dachte ich „Howsa – der kann ja was!“ Er ist wirklich der Wortspielmeister. Der Vorgänger-Titel heißt „Der Unverrichter der Dinge“ und ich höre noch heute den Freund lachen, dem ich es als Mitbringsel ließ. Leider, muß ich sagen, denn ich finde den allerneuesten Band nicht so gut und auch nicht so schön in der Anmutung. Wenn man Kalauer wie „Astor-Transport“ wertschätzt und sehr schnell Klang und Unsinn zu verbinden mag, - „und seh, wie ein Gärtner faul im hohen Gras liegt. Mensch, wieso Metternich?“ – der wird ja vielleicht Astor-Anhänger, so wie Dieter Hildebrandt es schon seit Jahren ist.
Weitere Informationen: www.kunstmann.de
 
Gerhard Ernst – „Denken wie ein Philosoph“ – Eine Anleitung in sieben Tagen (Sachbuch)
© 2012 Pantheon, 224 Seiten, Klappenbroschur, 12,99 €
Die Lockung, all das nachzuholen zu können, was man seit der Pubertät und trotz der „Philosophischen Hintertreppe“ nie so richtig verstanden hat – und zudem in nur einer Woche - ließ mich ohne lange zu überlegen zu diesem lockerem Frage-Antwort-Spiel (Sokrates, ick hör dir trapsen) greifen. Da wußte ich noch nicht, wie überaus ermüdend das Lesen von 200 Seiten geschriebenen Dialogs sein könnte. Wie damals im Unterricht schlief ich ein.
Weitere Informationen: www.randomhouse.de/pantheon
 

Hellmut Schödel - „Der Wind ist ein Wiener“ - Reportagen für morgen – Mit einem Vorwort von Jacob Augstein (Sachbuch)
© 2012 Müry Salzmann, 126 Seiten, gebunden
Ganz gewiß hat der ehemalige Zeit-Reporter und Theater-Rezensent Schödel einen besonderen Stil – im Schreiben, im Leben und auch im Auftritt. Kein Wunder, daß Jacob Augstein ihn fast ein wenig
hofiert, schreibt diese Edelfeder doch heuer für den „Freitag“. Wenn aber Schödel den „Ben Witter-Preis“ zuerkannt bekommt, dann steigen die Erwartungen – zumindest bei mir. Das aber konnte das kleine, hübsche Bändchen aus dem ebenso kleinen Salzburger Verlag nicht ganz einlösen. – Die Preisverleihung selbst, im 1. Stock des Hamburger Literaturhauses, war aber eine sympathische Veranstaltung, die einen Extra-Pfiff dadurch bekam, daß der Freitag-Herausgeber Augstein junior sein Vorwort in eine Laudatio umnutzte und kluge Sachen sagte wie: „die Wirklichkeit ist für den Journalisten ja die Hölle“ und fast schon wienerisch von dem „kleinen Raum zwischen Möglichkeit und Vergeblichkeit“ sprach. Auch wegen dieses Vorworts und wegen der schönen Aufmachung für Texte der aussterbenden Gattung „Kleine Form“ sollte man dies Buch wenigstens kaufen.
Weitere Informationen: www.muerysalzmann.at/
 
 
Rainer Moritz - „Sophie fährt in die Berge“ (Roman)
© 2012, Piper, 220 Seiten, gebunden
Dieses Buch ist für Frauen geschrieben und nicht einmal für alle. Also ganz sicher nicht für mich (der ich Sachbücher von Rainer Moritz mit Vergnügen lese, ganz voran seine „Überlebensbibliothek“ oder auch Kompendien zu so zentralen Kulturgütern wie etwa Schlager oder Schmelzkäseecken). Da aber das Buch im Bauch eines einstigen Stückgutfrachters und im Rahmen des Literatur-Festivals „Harbour Front“ vorgestellt wurde und obendrein die Vorleserin ein heimlicher Schwarm und landesbekannte Schauspielerin war, ging ich hin. Sie schrieb danach in mein Exemplar: „Hiermit quittiere ich, Leslie Malton, jeden Buchstaben dieses Buches nicht nur gelesen, sondern auch genossen zu haben!“ Mein allererstes Autogramm von ihr – Danke, Rainer Moritz!
Weitere Informationen: www.piper.de
 
Heino Jaeger - „Man glaubt es nicht“ Leben und Werk (Sachbuch mit allem, samt Gemälden des Meisters)
© 2007, Rowohlt Verlag, 478 Seiten, Broschur, 9,95 €
Der große Loriot schrieb: „Wie konnte es geschehen, daß Heino Jaeger 25 Jahre ein Geheimtip
blieb? Wir haben ihn wohl nicht verdient.“ Und Olli Dietrich: „Heino Jäger ist unser aller Meister.“ Und ich behauptete in den Musenblättern: „Was der Matjes für die Fischauktionshalle, ist Heino Jaeger für den deutschen Humor: Ein integraler und integerer Bestandteil. Wer wäre besser geeignet, diese norddeutsche Delikatesse zu servieren, …als Olli Dietrich!“ Und so war es auch: Ein gespanntes Publikum traf auf einen tiefenentspannten Dietrich und der las die Nonsense-Sketche Jaegers derartig gekonnt und mit an sich selbst verteilten Rollen, daß man gar nicht genug bekommen konnte, zumal die Plaudereinlagen zwischen den Stücken derart wohltemperiert und wohlinformiert und wohlgesonnen daher kamen, daß auch der Jaeger-Fan Olli Dietrich völlig die Zeit ganz vergaß. Und kein Wort über Ditsche
Bis zu diesem gelungenen Abend wußte ich nur, daß das Buch bei Kein & Aber vergriffen sei und es vom Schweizer Verlag nur noch CD-Hörbücher gäbe. Stimmt – aber es gibt noch das Taschenbuch! Und ab und an auch Olli Dietrich live lesend.
Weitere Informationen: www.rowohlt.de
 
Jon Flemming Olsen – „In 16 Tagen um die Wurst“ – Eine Liebeserklärung an die deutsche Imbißkultur, Reportage
© 2012 Goldmann-Taschenbuch, 288 S., Broschur, 8,99 €
Dies ist wohl genau die richtige Stelle, von einer weiteren Kulturleistung jenseits von Ditsche zu künden: Imbiß-Wirt „Ingo“ streifte seine Rolle ab und begab sich auf die Reise zu verschiedenen Orten der deutschen Gemütlichkeit und der Grillkünste. Die Besuche waren angekündigt, dauerten kaum mehr als einen Tag und meist durfte der Rechercheur mitarbeiten – während das Aufnahmegerät lief. Es diente nicht nur als Gedächtnisstütze, sondern auch als Dialekt-Fundbüro, aus dem Schauspieler Olsen dann wieder für seine Lesungen schöpfen konnte. Die geriet sehr lustig. Aber nicht auf Kosten der Porträtierten, sondern herzenswarm und menschenfreundlich. Die Lektüre ist wahrlich kein Muß – aber ein recht kurzweiliges Kann und Darf.
Weitere Informationen: www.randomhouse.de/goldmann/
 
Werner Hecht – „Kleine Brecht-Chronik“ – Basiswissen über sein Leben und Werk (Sachbuch)
© Hoffmann und Campe, 288 Seiten, kartoniert, 19,99 €
Einer der - in Regalmetern - deutschen Champions der Sekundärliteratur bekommt hier ein weiteres Elaborat hinzu gestellt und ein nützliches dazu. Gerade wenn man sich nicht endlos in kleinteilige Untersuchungen oder haarfeine Auslegungsware verlieren will, ist diese gedruckte Zeitachse ein hilfreiches und erhellendes Werk. Ein wenig wie das Brecht-Lexikon. Letzteres kann aber Gleichzeitigkeit schlechter oder gar nicht abbilden. Beispiel: die „Svendborg Gedichte“ und die sechs Jahre Exil in Svendborg als solches. Erst die Chronik verdeutlicht, wie reisegeprägt und wie international diese Zeit unter dem dänischen Strohdach für den Vielschreiber und Allesverwerter Bert Brecht dennoch war. Dies Buch von Werner Hecht ist vermutlich nicht für den, der alle anderen Werke über Brecht bereits gelesen hat, aber sehr angenehm und anregend für den, der noch nicht recht weiß, an welcher Stelle des brechtschen Oeuvres er in die Tiefe tauchen möchte – und ob überhaupt: Es unterhält aber auch einfach am Kamin.
Weitere Informationen: www.hoffmann-und-campe.de
 
Peter Rühmkorf – Gedichte – Werke 1 – Herausgegeben von Bernd Rauschenbach © 2000 Rowohlt Verlag Reinbek, 544 Seiten, Leinen mit Lesebändchen, 24 €
Die Gedichte des 2008 gestorbenen Großmeisters der lebensnahen Lyrik werden für mich nie zu den gelesenen Büchern gehören, sondern zu immer wieder zu lesenden. Gerade jetzt, wo die allgemeine Aufregung in Sachen Weihnachten und Silvester zunimmt, lege ich das poetische Erbe Rühmkorfs in Griffnähe zum Lesesessel, um ab und an und an beliebiger Stelle (hier: S. 184) Verse wie diese zu finden:
 
„Zwei Zeilen Zähne, eine Handvoll Worte,
du ziehst den Scheitel, ich bestelle mein Papier:
Die Lettern steigen vor der Sommerborte
in den geweißten Himmel über mir.“
 
Weitere Informationen:www.rowohlt.de/

Redaktion: Frank Becker