Sind Sie korrupt?

von Hanns Dieter Hüsch

Archiv Musenblätter - © Andreé Poloczek
Sind Sie korrupt?
 
Sind Sie korrupt? Seien Sie mir nicht böse, aber die Frage drängt sich mittlerweile auf. Man will ja nicht zurückstehen! Man muß schließlich manchmal auch mitreden können, damit man die Preise nicht kaputtmacht! Es ist manchmal im Leben so, daß jemand erzählt und erzählt, und man selbst ist gar nicht auf dem laufenden! Oder hat sich bisher einfach zurückgehalten, weil man sich gedacht hat, das macht Vaters einziger preußischer Beamtensohn einfach nicht! Und dann erfährt man, daß sie es alle machen! Darum meine Frage, ob auch Sie korrupt oder bestechlich oder zu kaufen und zu schmieren sind! Das ist heute nix Schlimmes mehr! Wenn jemand graumeliert ist und ein gewisses Alter erreicht hat, kann man davon ausgehen, daß er korrupt ist, wie andere ihren Ehrendoktor kriegen! Obwohl die Wirtschaft ein überragendes Interesse an der Eindämmung von Schmiergeldzahlungen hat. Ist auch klar: Wenn man nicht bestechlich ist, kann man auch nix eindämmen! Und wenn man nix eindämmen kann, macht man auch keine Geschäfte! Die Korruption - habe ich gehört - könne auch unsere Gesellschaft untergraben! Ich bitte Sie! Bei dieser Gesellschaft ist doch nix mehr zu buddeln, der steht doch moralisch das Grundwasser schon bis zum Hals! Ich muß sagen: Lieber fleißig und korrupt als faul und unbestechlich! Mich hat noch niemand geschmiert, weil ich von zu Hause aus dafür zu dumm bin, obwohl ich jetzt - wie gesagt - auch wach geworden bin und mir sage: Was andere können, das kannst du auch! Was andere dürfen, das darfst du erst recht! Wer nicht schmiert, der verliert! Und daher meine Frage, ob Sie auch korrupt sind, weil man sich gegenseitig mal braucht, Erfahrungen austauschen kann oder auch Tips  gibt! Ich meine, daß man als soziales Wesen auch gesellschaftlich nicht aus der Reihe tanzen darf! Der korrupte Mensch ist ia nicht von heute auf morgen korrupt geworden! Nein! Nein! Das war eine lange Entwicklung, bis der Mensch sich von dem alten, korrekten moralischen Verhalten lösen konnte und sich nun ganz frei und ganz bestechlich überall bewegen kann! Auf Kongressen und Herbstbällen, Gartenpartys und brisanten politischen Veranstaltungen, Vernissagen und Lotto-Festivals, auf Parteitagen und Massenandachten - ein leicht korruptes Völkchen wandelt da durch die Gassen und Straßen! Und ich soll der einzige sein, der unbestechlich ist? Das sehe ich nicht ein! Nein! Das mache ich nicht mit! Wobei? Ich muß mich natürlich fragen, ob ich überhaupt »bestechungswürdig« bin? Als Künstler! Da wird es sicher Schwierigkeiten geben! Mich haben sie doch eh schon in der Hand! Ganz bestimmt! Und alles ganz ohne Schmiergeld! 
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung