Über Rilke

von Erwin Grosche
Über Rilke
 
Sagen Sie mal, Sie rezitieren doch Rilke. Schämen Sie sich gar nicht? Sie halten sich für was Besseres, was?
 
„Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.“
 
Diese Sportschuhwerbung: Puma oder Panter, da muß man sich entscheiden. Puma ist Puma, und Panther ist Panther. Und dann erwähnt er plötzlich die drei Stäbe, die Streifen von Adidas, unglaublich.
 
„Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.“
 
Wissen Sie, wer dabei so müd geworden ist? Ich bin dabei so müd geworden. Rezitieren Sie Rilke, und gehen dabei hin und her. Wie originell. In dieser Strophe geht es schon um ein Tier, aber um Olli Kahn. Ein Torwart, der vor lauter Adidasstreifenwerbung, wahrscheinlich eine Kritik an der Kommerzialisierung des Sportes, nichts mehr hält. Dann der Sprung:
 
„Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.“
 
Und wissen Sie, was das für mich ist? Das ist Techno. Vom Torraum zum Tanzraum. Das ist für mich eine Beschreibung einer Technoparty unter Drogeneinfluß: Ecstasy. Hier geht es um Rumgehopse auf engstem Raum. Von Zuckungen bei ewig gleichen Rhythmen. Vom Betäuben des großen Willens. Das ist Techno. Da prangert Rilke Drogenmißbrauch und Dauertanzen an. Vielleicht sogar die Loveparade.
Verstehen Sie, nichts gegen Kunst, aber wenn ich Kunst sehen will, reicht mir ein gut sortierter Kunstpostkartenständer im Kiosk an der Ecke. Ich brauch keine Originale und Bilder in Übergrößen. Ich brauch keine Sammlung, mir reicht eine „Best of“ Zusammenstellung. Und von den besten der „Best of“ Zusammenstellungen noch eine „Best of“ Zusammenstellung. Wer braucht denn das Mittelmaß, wenn er die Hits haben kann?
 
„Goethe spielt Flöte
auf Schiller sein Piller!“
 
Das ist ein Hit. In diesem Gedicht treffen sich Hingabe und Sachlichkeit. Schlichtheit und Tiefe. In diesem Gedicht treffen sich in enger Verbundenheit zwei der größten deutschen Dichterpersönlichkeiten: Flöte und Piller. Hahahaha! Jetzt lachen Sie doch mal. jetzt nehmen Sie nicht alles so tierisch ernst. Aber ich merke schon:
 
„Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille —
und hört im Herzen auf zu sein.“
 
Rilkes Medienkritik, Hier prangert er oberflächliche Anhäufungen von Eindrücken. aus Zeitungen und Fernsehen an. Ich bin ja schon froh, daß es unsere Kultur geschafft
hat, und es waren nicht die Politiker, es waren nicht die Pfaffen und Betroffenheitsdichter, es waren Menschen wie du und ich, und seien wir ruhig ehrlich, es waren eher Menschen wie ich, die es geschafft haben, den Zuckerstreuer vom Salzstreuer unterscheidbar zu machen. Nicht auszudenken, mit welchen Problemen wir uns noch rumzuschlagen hätten. Aber ich sag Ihnen was. Sie rezitieren doch Rilke, aber warum probieren Sie es nicht mal mit Comedy? Verstehen Sie, man kann auch Gitterstäbe bunt anmalen. Denken Sie mal darüber nach. Denken Sie mal darüber nach.
 
 
 © Erwin Grosche – aus: „Warmduscher-Report“
Veröffentlichung in dem Musenblättern mit freundlicher Genehmigung