Nun ist der Schuhu in der Welt
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Foto © Frank Becker |
Wem wäre schon aufgefallen, daß Kondome ein Haltbarkeitsdatum haben? Erwin Grosche hat und empfindet als unerhörten Leistungsdruck. Ob er solche grundsätzlichen Themen des Lebens aufgreift, elementare und tiefschürfende Feststellungen trifft wie "Finden sie nicht auch, daß im Nachhinein die Zukunft sehr vorhersehbar war?", das Lob des Spülens als auch innere Reinigung singt: "Den Spülenden behütet Gott. Kein Feind stört ihn bei der Arbeit. Kein Mörder kommt und trocknet ab. Hinter seinem Rücken drückt sich der Krieg wie Falschgeld herum und hofft, er muß nicht helfen.", oder ob er ein "Nachbarschaftslied, morgens um 3 auf dem Balkon zu singen" anstimmt, Erwin Grosche ist immer ein bißchen dichter am Leben als andere, sie zum Beispiel oder ich...
Wörter vor Winterlandschaft
"Ich hätte ihr gerne noch etwas ausgezogen, aber sie war schon nackt". Solche und andere ebenso knappe wie amüsante Feststellungen bekommt man nur einmal: "Überhaupt, ein Abenteurer, der dauernd überlebt, macht der nicht irgendetwas falsch oder riskiert einfach zu wenig?" Kaum
Wörter vor Winterlandschaft - Foto © Frank Becker |
Erwin Grosche überzeugt. Am (kleinen) Akkordeon, am (kleinen) Klavier, an den Nudeltüten und Aschenbechern, mit Elektrozahnbürsten, Klangschalen und Spannbettüchern. Die "Omiii"-Zugabe gehört zu seinem unveräußerlichen Unfug, sie war dabei. Und hätte die Jury, die ihm als erstem Preisträger den "Peter-Hille- Literaturpreis. Nieheimer Schuhu" zu gesprochen hat, das bis dahin
Omiii - Foto © Frank Becker |
Aus der Laudatio für Erwin Grosche:
Als 1901 Ernst von Wolzogen, Max Reinhardt, Friedrich Kaysler und andere die ersten Kabaretts in Berlin eröffnen, boomt die Bewegung gleich ganz ungeheuer.
War bislang die Aufführung dieser neuen Kunstweise sehr profan und obenhin, der tiefste Sinn dieser großen Sache der Kleinkunst ist auch noch nicht einmal angerührt. Hier wie nirgends ist es das Naturell, die Individualität der Darsteller, die im Verein mit möglichst unbefangen und tief streifendem Weltrausch der Worte und Weisen auf diesem Gebiete gestaltet.“
Haben Sie es gehört? Da ist bei Peter Hille schon 1902 das Wort „Kleinkunst“ gefallen, das Wort, mit dem Erwin Grosche seine literarische und künstlerische Tätigkeit am liebsten beschrieben sieht. Und in der Kleinkunst ist es das Naturell, die Individualität des Darstellers, gepaart mit tief streifendem Weltrausch, das die Zuschauer bannt und begeistert.
Die westfälische Region ist nicht eben reich an Literaturpreisen, die der Förderung lebender westfälischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller dienen. Daher ist es mir als dem Vorsitzenden der Peter-Hille-Gesellschaft eine ganz besondere Freude, daß es gelungen ist, einen Peter-Hille-Literaturpreis aus der Taufe zu heben, der von der Hille-Gesellschaft in Verbindung mit der Stadt Nieheim alle drei Jahre vergeben werden soll.
Zweifellos gehört Peter Hille zu den markanten und wichtigen Gestalten der westfälischen Literaturgeschichte: In der Reichshauptstadt Berlin war er um 1900 in den sich bildenden Künstlergemeinschaften ein bekannter Schriftsteller, der der neuen und jungen Literatengeneration wichtige Impulse gab. Hille war zu seiner Zeit ein durchaus moderner, wichtiger Anreger, eine Funktion, die in der gegenwärtigen Literaturwissenschaft immer stärker wahrgenommen und angemessen gewürdigt wird.
Laudator Michael Kienecker - Foto © Frank Becker
Die Geburt des Schuhu
Gerade auch in der in Berlin um 1901 rasant wachsenden Kabarett- und Kleinkunstszene spielte Hille eine wichtige Rolle: Zunächst nur als Teilnehmer an verschiedenen Kabarettunternehmungen, hatte er schließlich sein eigenes „Cabaret zum Peter Hille“ in Dalbellis Weinstube, wo neben ihm auch junge Schriftsteller wie Else Lasker-Schüler, Richard Dehmel, Erich Mühsam und viele andere vortrugen. Ein Zyklus mit dem Titel „Lieder des betrunkenen Schuhus“ verfaßte Hille eigens für solche launigen Kabarettabende, und dieser Schuhu, ein mythischer Eulenvogel, ist der Namensgeber unseres Literaturpreises: Der Nieheimer Schuhu.
Erwin Grosche hat sich bei den Beratungen der Jury sehr schnell als der geradezu prädestinierte erste Preisträger des Hille-Literaturpreises herausgestellt: Hille selbst war vor allem ein Meister der literarischen Kurzformen, der poetischen Miniaturen vor allem im Gedicht, im Aphorismus und in beeindruckender Kurzprosa: Er formuliert einmal: „Die wichtigsten Sachen müssen leicht, die kleinen wichtig abgehandelt werden.
Hille, der sich – auch aus tiefer Gottgläubigkeit – trotz mancher Widerwärtigkeiten seines äußeren, materiellen Lebens als literarischer Humorist verstand, der sub specie aeternitatis, also unter dem Blickwinkel der Ewigkeit, alles Leid für überwindbar hielt durch innere Heiterkeit, fühlte sich
insbesondere mit den Kindern verbunden, weil diesen dieser heitere, noch unverbrauchte und nicht reglementierte „innere Lebenssinn“ eignet, den er auch für sich und seine Kunst beanspruchte.
Foto © Frank Becker
Erwin Grosche hat insbesondere in den letzten Jahren zahlreiche Kinderbücher geschrieben und präsentiert sich uns auf der Bühne und in seinen Büchern als ein kindlicher Weiser oder ein weises Kind – Bezeichnungen, die viele Zeitgenossen für Peter Hille geprägt haben.
Ausgezeichnet
Erwin Grosche ist von Dortmund bis Höxter, Meschede bis Bielefeld, aber seit vielen Jahren auch längst bundesweit auf Bühnen, im Hörfunk und im Fernsehen höchst präsent: Sein Werk umfaßt mittlerweile fast 20 verschiedene Kleinkunst-Programme seit 1979, weit über 50 Bücher, 40 Langspiel- und CD-Produktionen, Mitwirkung bei 35 Film- und Fernsehproduktionen, darüber hinaus 2 eigene Filme. Und an Preisen mangelt es wahrhaftig nicht: Er wurde bereits mit 13 Preisen
ausgezeichnet, darunter so renommierte wie der Deutsche Kleinkunstpreis, der Prix Pantheon und der Paderborner Kulturpreis für das Gesamtwerk.
Foto © Frank Becker
Es gibt einen wunderbaren Aphorismus Hilles, den scheint er geradezu für Erwin Grosche niedergeschrieben zu haben: Er ist gelassen, schlau und gut: Ein Aristokrat des Gewöhnlichen.
Ein Aristokrat des Gewöhnlichen: Treffender – so meine ich – kann Erwin Grosches auf die Poesie des Alltäglichen zielende Klein-Kunst nicht bezeichnet werden, und darum ist es nach so viel erwiesener literarischer Wahlverwandtschaft zu Peter Hille der Hille-Gesellschaft und der Stadt Nieheim eine besondere Freude, aber auch Ehre, ihn als ersten Preisträger heute mit dem „Nieheimer Schuhu. Peter Hille-Literaturpreis“ auszeichnen zu können!
Die Jury des Peter-Hille-Literaturpreises begründet:
Ausklang - Foto © Frank Becker
Text redaktionell bearbeitet und schamlos gekürzt von Frank Becker