Er schrieb wie verrückt

Wolfgang Welt - „Ich schrieb mich verrückt“ (Hg. Martin Willems)

von Jürgen Kasten

Er schrieb wie verrückt
 
„Ich schrieb mich verrückt“
Wolfgang Welt
 
1959 starb der amerikanische Rock´n´Roll-Sänger Buddy Holly bei einem Flugzeugabsturz. Er wurde nur 24 Jahre alt, hatte bis dahin aber schon viele Platten veröffentlicht und ist auch noch Jahrzehnte später Idol und Inspirator vieler Rock´n´Roller. Einer seiner größten Fans ist wohl Wolfgang Welt. Zwanzig Jahre später, 1979, schrieb Welt für den ´Marabo´ die Geschichte „Buddy Holly lebt“. Es sollte nicht die einzige bleiben. Bereits ein Jahr zuvor hatte er sein Studium der Geschichte und Englisch nach etlichen Semestern ohne Abschluß abgebrochen und arbeitete nun als Schallplattenverkäufer in Bochum, seiner Heimatstadt. Die Rockmusik wurde sein Leben. Er wurde zu einem intimen Kenner der internationalen Szene, interviewte viele Rockgrößen, schrieb Rezensionen, Kommentare und Glossen und war nach kurzer Zeit Starkolumnist des ´Marabo´, eines über das Ruhrgebiet hinaus bekannten Kulturmagazins. Seine Artikel wurden bald auch in überregionalen Zeitungen gedruckt, unter anderem in der TAZ und der Zeit. Welt nahm kein Blatt vor dem Mund, schrieb wie er dachte und sprach, immer kenntnisreich und ehrlich, scheute sich nicht vor niederschmetternder Kritik: „Heinz-Rudolf Kunze: eine Null.“, und nahm sich immer mehr der gesamten Kultur des Ruhrgebietes, vor allem Bochums an. Dort am Schauspielhaus arbeitete er inzwischen als Nachtportier (bis heute übrigens).
 
Bei einem vorübergehenden Aufenthalt in London lernte er Sue kennen und ihre Mutter Peggy. Damit war er wieder bei seinem Idol Buddy Holly und dessen Hit „Peggy Sue“. Schon lange wollte Welt einen Roman schreiben. Den Anfangssatz „Etwa zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung machte mir Sabine am Telefon Aussicht auf einen Fick,...“, hatte er seit längerem im Kopf. Der Roman „Peggy Sue“ erschien dann 1986 im Konkret Literatur Verlag. Drei weitere folgten bei anderen Verlagen.
Das Verbum „ficken“ durchzieht seine Romane und Kurzgeschichten. Seine Nähe zu Charles Bukowski verschweigt er nicht, rezensiert in zunehmenden Maße nun auch Literatur, korrespondiert und spricht mit vielen Schriftstellern, unter anderem mit Peter Handke, der auch das Vorwort zum vorliegendem Buch schrieb. Bei all dem bekam Wolfgang Welt sein Privatleben nicht in den Griff. Er wurde Kettenraucher, trank zu viel, eine Beziehung nach der anderen ging in die Brüche, Panikattacken und Angstpsychosen ermächtigten sich seiner - und über all das schrieb er. Auch über seine Aufenthalte in der Psychiatrie. Folgt man seinen Texten, weiß man bald nicht mehr, sind das Kurzgeschichten oder Tagebucheinträge?
Über 200 Musik-, Literatur- und Theaterkritiken, Reportagen und Konzertberichte hat Wolfgang Welt alleine zwischen 1979 und 1984 veröffentlicht. Später weitere  100 Texte, Geschichten und seine Romane. Zuletzt schrieb er 2011 in der FAZ über eine Dortmunder Ausstellung, die sich der „Gruppe 61“ widmete.
 
Wolfgang Welt wurde oft als der entscheidende Wegbereiter des Popjournalismus bezeichnet. Martin Willems, Jahrgang 1984, ist der Herausgeber dieses Buches über Welt. Willems ist Literaturredakteur und arbeitet in einem Literaturarchiv. 2007 wurde er durch „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ auf Wolfgang Welt aufmerksam und steht seitdem mit ihm in Kontakt. Er beschäftigte sich intensiv mit Welts Texten „von hoher Qualität“ und brachte einen Großteil von ihnen in chronologischer Reihenfolge in diesem Buch zusammen, das mit einem Interview und einer Wolfgang-Welt-Bibliographie endet.
 
„Ich schrieb mich verrückt“ zeichnet den Weg eines Besessenen, der etwas zu sagen hatte und gedruckt werden wollte. Er wurde viel beachtet. Seine Meinung war gefragt. Jetzt, mit 60 Jahren, sitzt er immer noch in der Portierloge im Schauspielhaus Bochum. Auf die Interviewpassage „Ihr Romanheld in ´Peggy Sue` kommt vom Musikjournalismus zur Literatur. War das bei Ihnen auch so?“ antwortet er: „Ich bin Buddy Holly“.
Ein faszinierendes Buch und ein amüsanter Rückblick auf die Musikkultur der 80ziger Jahre.
 
Ich schrieb mich verrückt - Martin Willems (Hg.)
Texte von Wolfgang Welt von 1979 – 2011
© 2012 Klartext Verlag, Essen Broschur, 385 Seiten, ISBN: 978-3-8375-0747-8
€ 19,95
 
Weitere Information: www.klartext-verlag.de

Redaktion: Frank Becker