Viel zu dichtes "Dickicht der Städte" am Bochumer Schauspielhaus

Roger Vontobel verirrt sich mit seiner Brecht-Inszenierung

von Andreas Rehnolt

Viel zu dichtes "Dickicht der Städte"
am Bochumer Schauspielhaus
 
Regisseur Roger Vontobel verirrte sich im Lichtermeer
mit gräßlichem Rap und allzuviel Whiskey
im Brecht'schen Chiacago-Stück
 
 
Gewalt und Bedrängnis
"Man sieht die Stadt vor lauter Lichtern nicht", raunte eine Zuschauerin gleich zu Beginn der jüngsten Bochumer Variante von Bertold Brechts "Dickicht der Städte" im Großen Haus des Bochumer Schauspiels. Was Regisseur Roger Vontobel da bei der Premiere am 2. Februar in gut zwei Stunden auf die Bühne (Claudia Rohner) brachte, war ein viel zu dichtes Dickicht, als daß der Zuschauer da noch hätte durchblicken könnte. Obschon der Anfang mit einem mehrfach aufgeteilten Videofilm, der Szenen aus der Videothek zeigte, in welcher der kleine Angestellte George Garga (Florian Lange) und der reiche asiatische Holzhändler Shling (Matthias Redlhammer) aufeinander treffen, das hätte erhellen sollen.
Zunächst mit Geld, dann mit Gewalt und schließlich damit, daß er ihm seine Freundin (Nadja Robiné) und später seine Schwester (Maja Beckmann) nimmt und sie sexuell ausbeutet, versucht Shling Garga dazu zu bringen, ihm seine Ansicht über einen bestimmten Film "abzukaufen". Garga rennt - aus Angst um sein Leben - nackt durch die Stadt. Eindrucksvolle Video-Aufnahmen, die nach rund 10 Minuten damit enden, daß Garga nackt auf der Bühne ankommt und von seinen Peinigern erneut massiv gedemütigt wird. Das schmerzt beim Zusehen - doch man kommt als Zuschauer nicht daran vorbei, zu bemerken, daß sich bei George Garga nicht wirklich Widerstand zeigt.

Suff, TV-Überkonsum, Fastfood, Gebrüll und Ekligkeit

Vielmehr bleibt er der schwitzende, ängstliche, viel zu viel Whiskey saufende, verunsicherte Proll, der dann sofort zugreift, als ihm sein Peiniger die wertvolle Holzhandlung per Vertrag überschreibt. Noch dazu kann er einem der Handlanger von Shling den Revolver abnehmen, der ihn im Rest der Inszenierung zum vermeintlichen Überlegenen dieses - so der Brecht'sche Untertitel - Kampfes zweier Männer in der Riesenstadt Chicago" macht. Eigentlich kann man von diesem Moment an in Bochum die Augen schließen. Denn was sich da als Kampf aufspielt, ist bestenfalls ein Kämpfchen. Shling ist der, der immer wieder an den Kämpfer Garga appelliert, es sich und ihm doch nicht so leicht zu machen.
Auch Gargas Schwester mahnt mehrfach vergeblich ihren Bruder zur Einsicht. Sie mahnt ihn immer wieder, sich nicht vorführen zu lassen. Doch der inzwischen zu Reichtum und Macht gelangte Garga sieht nicht, daß er schon längst verloren hat. Als es sich Shling bei Gargas widerlich prolligen und mit Fatsuits ausgestopften Eltern bequem macht und ihm auch noch sein "Zuhause" nimmt, ist alles zu spät. Bier saufend und Chips in sich reinstopfend walzt Vontobel diese Familienszenen viel zu lange und viel zu widerlich aus. Warum muß Armut auf deutschen Bühnen eigentlich immer mit Suff, TV-Überkonsum, Fastfood, Gebrüll und Ekligkeit verbunden werden?
 
Bühne: katastrophal gut

Am Ende landen Schwester und Freundin von Garga auf dem Billigstrich und Garga im Gefängnis. Von dort aus schwärzt er kurz vor seiner Haftentlassung Shling bei den Behörden und den Zeitungen an, sich als asiatischer Zuhälter an seiner Frau und Schwester vergangen zu haben. Bei Brecht bringt Shling sich am Ende um, um den Lynchen zu entgehen, Vontobel läßt die beiden Protagonisten in einer Art Zweikampf - Shling im Affenkostüm und Garga nackt - kämpfen. Dann ist endlich Schluß in Bochum. Die Bühne ist ein zusammengefallener Haufen von Elektroschrott, Klamotten, Möbelstücken und Bordell-Utensilien. Und sie sieht - verlassen von allen Schauspielern - wirklich katastrophal gut aus. Das Publikum applaudierte, aber nicht wirklich aus Überzeugung.
 
Nächste Aufführungen: 28. Februar, 10., 16. und 29. März.

Weitere Informationen: www.schauspielhausbochum.de