Karl Otto Mühl zum 90. Geburtstag

Glückwunsch des VS Wuppertal

von Wolf Christian von Wedel Parlow

Wolf Christian von Wedel Parlow
Foto © Frank Becker
Karl Otto Mühl
zum 90. Geburtstag

Ausstellung Zentralbliothek
Wuppertal-Elberfeld
Ab 26. Februar 2013, 19:00 h
 
Eröffnungsworte und Glückwunsch
von Wolf Christian von Wedel Parlow
für den VS Wuppertal
 
Es soll hinterher nicht heißen, es sei nicht genug geredet worden. Einem solchen Vorwurf kann zum Glück vorgebeugt werden. Denn es fehlt zu Karl Otto Mühls Jubeltag noch eine Äußerung im Namen des Verbands deutscher Schriftsteller Sektion Wuppertal. Gestatten Sie mir bitte, daß ich diese Aufgabe übernehme.
Danken möchte ich heute und hier dem Dichter selbst, Karl Otto Mühl, daß er uns, wenn die zu seinen Ehren in der Wuppertaler Zentralbibliothek eingerichtete Ausstellung erstmals zu sehen sein wird, nicht allein läßt mit Plakaten, Bildern und Büchern, den „toten“ Hervorbringungen seiner Kunst. Er wird dabei sein, wenn diese am 26. Februar eröffnet wird. Vielleicht wird und will er uns an diesem Tag eine Brücke sein zu den Ausgrabungen aus den Archiven. Dabei kommt es mir manchmal so vor, als sei er selbst das eigentliche Kunstwerk.
Denn eben haben wir noch in sein freundliches Gesicht geblickt, eben hat er uns noch einbezogen in seinen stetig wachsenden Bekanntenkreis: „Das ist Herr Müller, er war zwanzig Jahre mein Arbeitskollege …“, „Das ist Frau Bayer, mit ihr bin ich, als ich noch jung war und ledig, manches Mal spazieren gegangen. Es hätte etwas aus uns werden können …“. Eben haben wir noch das quirlende Leben um diesen Mann beobachtet, nein genossen, fühlten uns aufgenommen in seine Welt, das atmet noch in uns und wir bewundern, wie er es geschafft hat, all diese Verbindungen sein Leben lang zu bewahren und zu pflegen.
Eben wurden wir noch gefragt, wer ist dieser Mann, der die Kunst des Kontakts so mühelos beherrscht, als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes gemacht, als Verbindungen herzustellen und zu pflegen. Ach, sagten wir achtlos, ein Wuppertaler Schriftsteller, einer unter vielen, nicht sonderlich bekannt geworden über die Grenzen der Stadt, Schicksal eines Talents, das durch das Netz der nationalen Aufmerksamkeit gefallen ist, weil es zu früh kam oder zu spät …
Da betreten dann wir diesen Raum, und plötzlich tritt uns ein Anderer entgegen, materialisiert durch Plakate von Theater-Aufführungen in Frankfurt, in Göttingen, in München, durch Theaterkritiken in allen großen Zeitungen der Bundesrepublik, durch Buchrücken aus dem Rotbuch-Verlag in Berlin, dem Luchterhand-Verlag in Darmstadt, dem Verlag der Autoren in Frankfurt, schließlich auch durch Buchrücken aus den hiesigen Verlagen Peter Hammer, NordPark und HP Nacke. Und wenn wir uns – ohne viel Mühe – des Kulturmagazins „Musenblätter“ im Internet bedienen, stoßen wir auf einen reichen Schatz an Aphorismen, Feuilletons, zum Teil noch ungedruckten Erst-Veröffentlichungen von und Artikeln über Karl Otto Mühl.
Hat der Autor sich etwa klein gemacht, um uns übrige Wuppertaler Autorinnen und Autoren nicht kümmerlich aussehen zu lassen? In meiner zugegeben blühenden Phantasie bilde ich mir manchmal ein (dramatisch maßlos überhöht), im ganz kleinen Kreis, wenn er sich unter Freunden wisse, könne man erleben, wie er sich hin und wieder zur vollen Größe aufrichtet und im Bewußtsein seiner tatsächlichen Bedeutung ausruft: „Ich war einmal einer der bekanntesten Autoren Deutschlands.“ Aber ich bilde mir das nur ein, vielleicht, weil ich ihn gern als Prahlhans darstellen würde. So ist er nicht, beileibe nicht, das möchte ich hier entschieden feststellen.
In der Wuppertaler Ausstellung starrt uns nur das Ergebnis an. Wie es jedoch dazu kam, wie aus dem Werbe- und Verkaufsleiter Mühl fast über Nacht einer der bekanntesten deutschen Schauspielautoren wurde, ist das eigentlich Spannende. Hierzu nur einige wenige Stichpunkte:
 
Auf Mühls Seite:
1. die geradezu professionelle Beschäftigung mit dem eigenen Seelenleben
2. die aufmerksame Beobachtung der Gefühlsregungen seiner Mitmenschen
3. das kontinuierliche Gespräch mit dem Freund Paul Pörtner, besonders in den Jahren 1947-49, als Pörtner zunächst Regieassistent an den Städtischen Bühnen Wuppertal war und dann die Junge Bühne in Remscheid leitete; man traf sich im Turm, der von Pörtner gegründeten Künstlervereinigung, wo mitunter auch der damals noch in Lüdinghausen lebende Tankred Dorst auftrat, den Mühl von der Gefangenschaft in den USA kannte und nun mit Pörtner zusammenbrachte, so wie er zeitlebens Menschen zusammenbrachte;
4. das tägliche, oft nur halbstündliche Schreiben nach der Arbeit, das Stück für Stück den Roman „Siebenschläfer“ entstehen ließ, ein Text, den man sich genauso gut als eine Sammlung von Szenen für das Theater vorstellen kann; von dort war es
5. nur ein fließender Übergang, es auch einmal mit einem Schauspiel zu versuchen, ganz ohne Auftrag seitens einer Bühne. „Niemand hat von mir verlangt, daß ich ein Stück schreibe.“ 1 Er schafft das Spaltprodukt seines vom Berufsleben bestimmten bürgerlichen Lebens2 nebenbei: „Täglich 20 Minuten hatte ich, während ich im Ratskeller Neuss auf meine Frau wartete.“ 3
 
Auf Seite der Bühnen
1. Ein Stück schreiben ist eines, aber wird es auch gespielt? War es Zufall oder hatte Mühl die Nase im Wind, daß die Rheinpromenade einen Nerv der Zeit traf? Von einem sensationellen Bühnenerfolg ist die Rede. Noch in derselben Saison wurde das Stück von einem Dutzend Theatern nachgespielt, von Funk und Fernsehen übernommen und erreichte bisher rund 70 Inszenierungen. 4
2. Die Resonanz auch der folgenden Stücke Rosenmontag und Wanderlust könnte mitbegründet sein durch die Abkehr vom politischen Demonstrationstheater und dem Dokumentarstück und die Hinwendung zum Alltagsrealismus. Ähnlich wie Kroetz zeigte Mühl das beschädigte Leben der kleinen Leute, ihre Sehnsüchte und Ängste, den Druck der Arbeitswelt auf die private Existenz, die Dumpfheit und Enge der Welt von so genannten Normalbürgern. 5
 
Doch inzwischen scheint Mühls Zeit am Theater vorbei zu sein. Realismus ist out. Wieder wird demonstriert auf den Bühnen. Schwer vorstellbar, neben Elfriede Jelineks „Kontrakten des Kaufmanns“ Mühls „Rosenmontag“ ins Programm zu nehmen. Oder erlebt er doch noch einmal ein Comeback? Die baldige Wiederaufnahme der „Rheinpromenade“ am Schauspiel Köln könnte ein Auftakt sein. Warten wir es ab!
Mühl hat die Abkehr der Bühnen von seinen Stücken zur Kenntnis genommen - und aufgehört, Stücke zu schreiben. Er hat viel zu viel zu tun, als daß er Zeit hätte, sich über die Entwicklung zu grämen. Er muß die Sprüche notieren, die ihm durch den Kopf gehen, und die Begegnungen zu Literatur machen, denen er sich Tag für Tag aussetzt.
 
 
Im Text zitierte Quellen:
[1] Michael Töteberg, Karl Otto Mühl – Essay, Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur
2 Ebd.
3 Frank Becker, Karl Otto Mühl zum 80. Geburtstag, Bergische Zeit, 12. 2. 2003
4 Michael Töteberg, a. a. O.
5 Ebd.
 
 
© 2013 Wolf Christian von Wedel Parlow