Lachen mit Hitler

Timur Vermes - "Er ist wieder da"

von Frank Becker

Sein neuer Kampf
 
Lachen mit Hitler
 

„Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.“
(Kurt Tucholsky)
 
Sommer 2011. Adolf Hitler erwacht auf einer Brache, umgeben von Löwenzahn und Gänseblümchen mitten in Berlin. Das schlichte Kleid des Soldaten mit Erde und Benzin verschmutzt, der Krieg offensichtlich schon lange vorbei, Bormann, Göring, Goebbels, Dönitz, Eva – alle weg. Keine Wehmacht, Waffen-SS oder NSDAP mehr da. Im tiefsten Frieden, unter Abertausenden von überwiegend türkischen Ausländern, die wohl als Ausfluß der neuen Achse Berlin/Ankara Teil des Wirtschaftslebens im Reich geworden sind und mit Angela Merkel als Kanzler-Darstellerin. 66 Jahre nach seinem vermeintlichen Ende wird der GröFaZ durch ein unerklärliches Schicksal oder ein Zeitfenster in die Gegenwart gespült. Er wäre nicht der Führer, der er immer war, wenn er nicht sogleich mit Neugier und ungebrochener Tatkraft da anknüpfen würde, wo im April 1945 vermeintlich sein Lebensfaden abgeschnitten wurde.
 
Seine ersten Schritte in der neuen Wirklichkeit führen ihn vorbei an einer neuen Jugend zu einem Kiosk, den er dank der Aufgeschlossenheit des Zeitungskrämers sogleich als ersten Stützpunkt seines neuen Kampfes und vorübergehende Schlafstätte nutzen kann. Leider gibt es auch den „Völkischen Beobachter“ nicht mehr. Es muß zwangsläufig dauern, bis er dank der medialen Kontakte des Trafikanten in der Öffentlichkeit als Adolf Hitler und nicht als Switchfigur oder Stromberg-Kopie wahrgenommen wird, doch was 1923 klappte, ist auch 88 (!) Jahre später wieder möglich. Nun ja, den echten Hitler nimmt ihm natürlich keiner ab, aber als unter die Haut gehend realistische Kopie nimmt ihn bald das Showbiz eines kommerziellen TV-Senders auf. Und der Staat, die Presse, die öffentliche Meinung, auf die er trifft, scheinen ihn nötig zu haben, zeigen sich den für Jux gehaltenen Parolen des geübten Demagogen völlig ausgeliefert. Bei der Jagd nach Quoten, Klicks und Fernsehpreisen wird jede Scham fallengelassen, wird jede Überschreitung von Grenzen des guten Geschmacks hingenommen.
 
„Eine Persiflage? Eine Satire? Polit-Comedy?“ fragt der Verlag im Klappentext. All das ist es und doch viel mehr: Timur Vermes hat mit „Er ist wieder da“ ein exorbitantes Romandebüt vorgelegt, kenntnisreich, in jeder Hinsicht hervorragend recherchiert und zugleich ein galliges Stück Kabarett von hoher Qualität. Lacher? Aber natürlich, denn Vermes reizt den Leser mit gekonnt gesetzten Pointen und überschäumender Erzählkunst. Dazu braucht es in dem von A.H. selbst erzählten atemberaubenden Roman nicht einmal den rrrollend knödelnen Tonfall Hitlers, bis heute jedem Fernsehzuschauer durch unendlich viele Dokumentationen und die köstliche Parodie von Christoph Maria Herbst im Ohr. Vermes erfindet einen Hitler neu, der ohne Rücksicht auf „political correctness“ (woher sollte er die auch kennen) seinen Weg geht, mit kluger Sicht auf die neuen Realitäten und einem hervorragenden PR-Team an seiner Seite. Die Herren Sensenbrink und Sawatzki, die Damen Bellini und Krömeier ebnen dem wieder erwachten bürgerlichen Monster aus verschiedenen Beweggründen einen neuen Weg nach oben…
 
So lustig, ja burlesk sich das streckenweise liest, so schnürt es ob der gradlinigen Fortführung der Kriegsplanung und Judenvernichtungsgedanken dieses Roman-Hitlers dem Leser auf weiten Strecken die Luft ab. Denn „das Thema Juden ist nicht lustig!“ (Zitat). Und Hitler schon gar nicht. Timur Vermes´ Aufräumen mit den selbsternannten neuen guten Deutschen in der NPD, mit der der Journaille, allen voran der Bild-Zeitung und ihren zweifelhaften Methoden, der Finanzwirtschaft, mit der Quoten-Geilheit des Kommerz-Fernsehens und vielen anderen ekelhaften gesellschaftlichen Zuständen durch den Blick seines Hitler öffnet den Blick für manch virulentes Problem, scheint aber nur komisch zu sein. Denn ein Phänomen wie Hitler ist eine hundsgefährliche Zeitbombe. Die posthume Satire muß also, auch im Sinne Tucholskys, als galliger Tritt gegen das Schienbein der Spaßgesellschaft erlaubt sein. Ein hervorragendes Buch, das ich als Lektüre dem Anhören des gleichzeitig erschienenen, von Christoph Maria Herbst gelesenen Hörbuchs bei weitem vorziehe. Unsere übersättigte, vergnügungssüchtige Gesellschaft braucht gelegentlich solche Klatschen. Einziger Minuspunkt ist die Numerierung der 36 Kapitel mit Zahlen in Gotisch Fraktur. Genau diese der NS-Zeit gerne auch von Neo-Nazis zugeschriebene Schrift-Type hatte Hitler einst abschaffen lassen. Für „Er ist wieder da“ und Timur Vermes unsere Auszeichnung: den Musenkuß.
 
Timur Vermes - „Er ist wieder da“
© 2012 Eichborn Verlag, 396 Seiten, Hardcover, Lesebändchen - ISBN: 978-3-8479-0517-2
19,33 €
 
Weitere Informationen: www.luebbe.de/Eichborn/