e.o. plauen – „Vater und Sohn“

Erich Ohser zum Gedächtnis an seinem 110. Geburtstag

von Joachim Klinger

© Südverlag
e.o. plauen –
Vater und Sohn
 
Erich Ohser, der am 18. März 2013
110 Jahre alt wäre,
zum Gedächtnis
 
 
Wenn man verstehen will, was „Vater und Sohn“ für ein Kind der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts bedeuteten, dann muß man die damalige Kindheit ein wenig in Augenschein nehmen.
 
Das Idealbild der durchweg strengen Erziehung war das „artige“, das „brave“ Kind, das sich zur Zufriedenheit der Erwachsenen folgsam zeigte und seine Sachen „in Ordnung“ hielt. Wilhelm Busch hat in seiner „Bubengeschichte Max und Moritz“ in der Einleitung zum Fünften Streich, der den guten Onkel Fritz einer böswillig herbeigeführten Maikäfer-Invasion aussetzte, die Postulate aus dem Kanon eines angemessenen Benehmens Erwachsenen gegenüber präzise zusammengefaßt. Höflichkeit und Bescheidenheit haben Vorrang. Wird der Bedarf an Hilfeleistung erkennbar, gilt:
 
„Gleich ist man mit Freudigkeit
dienstbeflissen und bereit.“
 
Vor dem Hintergrund dieser unumstößlichen Verhaltensregeln erscheinen die bösen Buben Max und Moritz umso deutlicher als abschreckende Beispiele für „liebe“ Kinder.
 
Aber der doch häufig als ärgerlich empfundene Drill, die nahezu militärischen Gehorsamspflichten führten nicht nur zur Aufmüpfigkeit, sondern auch zur heimlichen Freude an Aktionen pfiffigen Widerstandes. Solche Aktionen wurden „Streiche“ genannt, und so bezeichnet auch Wilhelm Busch die mehr oder weniger üblen Taten von Max und Moritz als Streiche.
Der Erfolg von „Max und Moritz“ löste eine Welle von ähnlichen Lausbubengeschichten aus, von denen aber keine in Wort und Bild qualitativ an Wilhelm Buschs Meisterleistung heranreichte. Beispielhaft erwähnt als Buschiaden seien „Fritz und Karl“, 1917 erstmals erschienen, sowie „Franz und Fritz“, die um 1925 herausgebracht wurden. Neben diesen „garstigen Rangen“ männlichen Geschlechts muβten natürlich auch weibliche Schlingel ins Visier genommen werden.
So wurde 1920 „eine Mädelgeschichte nach Wilhelm Busch“ veröffentlicht, die in sieben Streichen das saubere Pärchen „Maus und Molli“ vorstellte. Das Werk erschien bis in die 50er Jahre hinein immer wieder in derselben Gestalt als Neuauflage. Ebenbürtige Schwestern waren „Lies und Lene“, die im siebten Streich das erwartete schlimme Ende nahmen. Denn „Bosheit ist kein Lebenszweck“ – läßt Wilhelm Busch Schneidermeister Böck zum Tode von Max und Moritz sagen.
 
Was die Bildergeschichten von „Vater und Sohn“ schildern, ist vergleichsweise harmlos, oft geradezu liebenswert. Solche Streiche kann man tolerieren.
Wenn ich auf meine eigene Kindheit im Ruhrpott zurückblicke, dann kann ich keine Missetaten ausmachen, obwohl ich durchaus Kontakt zu Lausejungen hatte, die von den Erwachsenen als Rabauken bezeichnet wurden. Natürlich wurde unreifes Obst aus fremden Gärten stibitzt, natürlich wurde die Brettertür zum Stillen Örtchen neben der Dunggrube verkeilt, aber schweren Schaden haben wir keinem Menschen zugefügt.
Wir konnten uns im „Sohn“ aus der Feder Erich Ohsers wiedererkennen, wenn er Unfug trieb. Denn der Effekt war nicht Bestürzung, sondern Vergnügen. Eigentlich ein Schabernack!
Streiche von Kindern und Jugendlichen waren beliebte Inhalte von Bildergeschichten in Zeitungen und Illustrierten. Dabei muβ hervorgehoben werden, daβ es im Ganzen – wenn man die Gegenwart zum Vergleich heranzieht – ein eher schmales Angebot an Unterhaltung gab. Die großen Illustrierten kamen aus Berlin und waren im Ruhrgebiet nur in den Händen weniger zu sehen.
 
Ein Freund meines Vaters war Zeitungsredakteur und bezog die „Berliner Illustrirte“. Wenn er sie gelesen und ausgewertet hatte, überließ er mir groβzügig die Witzseite, und noch heute überkommt mich ein Wonneschauer, wenn ich an die geballte Ladung lustiger Zeichnungen zurückdenke, z.B. an Emmerich Hubers „Steinzeitmenschen“.
Die Tageszeitungen brachten mindestens in der Wochenendausgabe eine Bildergeschichte, Lausbuben-Abenteuer oder komische Erlebnisse eines eher knuffigen Typs; ich denke z.B. an den „Lausbubenkönig Kalle“ und seine Bande oder an „Adamson“.
Zugänglich waren auch die bunten Kinderzeitschriften großer Warenhäuser und Fachgeschäfte, die nach erfolgtem Erwerb eines Mantels oder von ein paar Schuhen als Dankeschön und zu Werbezwecken ausgegeben wurden. Nur konnte man sich – leider! – nicht allzu häufig, etwa monatlich, einen Großeinkauf leisten. An diesen Kinderzeitschriften arbeiteten übrigens renommierte Karikaturisten mit. Nach Möglichkeit sammelte man derartige Zeitschriften und schnitt sich aus den Tageszeitungen „Cartoons“ aus.
Der kindliche Sammlertrieb galt besonders den Bildern, die manchen Produkten der Geschäftswelt beilagen, seien es Haferflocken oder Zigaretten. Hübsch fand ich auch die Werbung für Blendax-Zahnpasta, Schuhcrème und Hustenpastillen. Da waren gute Zeichner am Werk!
 
Das Angebot an unterhaltsamen Veranstaltungen war, wenn man vom Sport absieht, spärlich. Zweimal im Jahr Kirmes, einmal ein groβes Schützenfest, ab und zu Puppentheater und in der Weihnachtszeit für Kinder der begüterten Klasse ein Märchenspiel im Stadttheater.
 
Und der Kintopp?
 
Film war zumeist etwas für Erwachsene. Kinderprogramme gab es nicht, aber ab und zu Filme für Kinder und Jugendliche, z.B. mit Shirley Temple, Charlie Chaplin oder Stan Laurel und Oliver Hardy („Dick und Doof“). Dann auch Zeichentrickfilme, in denen sich die Mickey Mouse austobte.
Man sparte für Kinogeld, denn die Eltern hatten die nötigen Groschen nicht locker in der Tasche, und manche Erwachsene lehnten das Kino als Etablissement minderwertigen Vergnügens ab.
Die heutige Generation der Kinder und Jugendlichen kann sich schwerlich vorstellen, daβ wir ohne Fernsehen und Computerspiele lebten. Was machte man an Abenden oder dunklen Wintertagen daheim? Meine Antwort: in Büchern stöbern, Bilder anschauen, Lesen (wenn man das konnte). Dies auch bei schlechter Beleuchtung!
 
Was „Vater und Sohn“ aus der groβen Schar der Ulkfiguren in Bildergeschichten heraushob, waren nicht der Einfallsreichtum und der so einfache und gerade dadurch überzeugende Stil des Grafikers Erich Ohser, der sich aus politischen Gründen e.o. plauen nannte. Sie wurden schlagartig Sympathieträger; Väter und Söhne identifizierten sich nur zu gern mit ihnen. Die Bilderfolgen erschienen rasch in preiswerter Ausstattung mit Pappeinband. Dreimal „50 Streiche und Abenteuer“! Meine „Vater und Sohn“-Bücher überlebten den Krieg in arg lädiertem Zustand. Das lag nicht an Bomben und Granaten, sondern an liebevoller Benutzung zusammen mit Freunden.
Sympathieträger, Identifikationsfiguren – diese Typen? „Vater“ mit kahlem Schädel, struppigen Augenbrauen und Schnauzbart, ein rundlicher, allenfalls mittelgroβer Mann? „Sohn“ – zierlich, fast pipsig mit schwarzem Wuschelkopf? Dabei wurde in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ein andersartiges Menschenbild proklamiert: der Mann – hochgewachsen mit athletischem Körperbau, kühnem Profil, blondem kurzgeschnittenem Haar (Streichholzlänge) und leuchtenden Augen; die Frau – mütterlich wohlgeformt, das weizenfarbene Haar zum schweren Zopf geflochten usw. usw.
 
Uns Kindern war das egal. Unsere Väter waren keine Heldengestalten, und wir selbst achteten nicht auf unser Äußeres, jedenfalls nicht bis zum Eintritt in die Hitlerjugend, die eine Uniform und kurzen Haarschnitt vorschrieb.
Was war das für ein Vater, der es dem Sohn erlaubte, am Weihnachtsabend mit dem neuen Fahrrad ins Bett zu gehen! Der den schlafenden Jungen heimlich, still und leise zum Beginn der Groβen Ferien aufs Land fuhr, um ihm die Überraschung des Aufwachens auf der grünen Wiese zu bescheren!
 
Gewiß, ab und zu legte er den Sohn über’s Knie und verabreichte ihm Prügel. Aber das geschah in einem verständlichen Zorn. Wir kannten das und fanden nichts Schlimmes dabei. Denn überzeugend spürbar blieb immer die große Liebe zum Kind.
Am zornigsten wurde Vater, wenn irgendein übler Kerl dem Sohn ein Leid zufügte. Dann wuchs eine schier gigantische Kraft in ihm. Dann schlug er einen bewaffneten Bankräuber nieder oder setzte einen baumlangen Grobian mit einem Kinnhaken außer Gefecht.
Daß Vater gern einen über den Durst trank und als Heimwerker ziemlich kläglich versagte – das belustigte uns nur; auch das kannten wir.
Und der pfiffige Sohn, ideenreich und zum Schabernack immer bereit! Man denke nur daran, wie er mit einer geschickt plazierten Heftzwecke einen gewalttätigen Einbrecher ausschaltete! Wie er es verstand, unter Einsatz einer gespielten Blinde-Kuh-Variante dem Vater seine Unterschrift unter eine miserable Schularbeit abzuluchsen!
 
Ach, die beiden sind ein wunderbares Paar!

© Südverlag
 
Die Zuneigung vieler Kinder und Jugendlicher in vielen Ländern dieser Erde sorgt dafür, daß „Vater und Sohn“ weiterleben. Um den umfangreichen Nachlaß von Erich Ohser kümmert sich eine treue Anhängerschaft in Plauen, gestützt von Freunden aus allen Teilen Deutschlands.
 
Besser kann man das Andenken an einen großen Künstler nicht ehren!
 
 

©  2013 Dr. Joachim Klinger
Redaktion: Frank Becker
 
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