Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Computer-Gefühle

17. März: Mein Computer zeigt Gefühle. Ich habe meinen Computer immer unterschätzt. Ich sah ihn als Maschine, als ein notwendiges Übel, um das man nicht herumkommt wie um Mittelaltermärkte. Ich habe dazugelernt. Inzwischen bin ich überzeugt, daß er lernfähig ist. Er ist bereit, die Welt anzunehmen, wie ich sie beschrieben und mit ihm verfaßt habe. Wir haben uns aneinander gewöhnt und angepaßt. Er läßt keine Mails meines Steuerberaters mehr durch. Er sortiert sie gleich als Spam oder Junk aus. Inhaltsangaben wie: Steuerklärung 2010 unter »Betreff«, läßt er nicht mehr gelten. Er schirmt mich ab. Er kennt meine Sehnsucht nach Unschuld. Versucht er mich vor allem Bürokratischen und Nervigen zu beschützen? Mein Steuerberater muß sich nun unter »Betreff« etwas einfallen lassen, will er zu mir vordringen. »Womit verdünnt man Wasser« mailte er mir kürzlich, als er meine neuesten Belege anforderte. »Warum laufen Nasen, während Füße riechen« sah ich als »Betreff«, als er noch Fragen zu meinen Tankquittungen hatte. Das hat geklappt. Meine Zahnärztin versuchte mir mal, eine Mail unter dem Begriff: »Jahresuntersuchung« zu schicken. Das ließ mein Computer nicht gelten. Nun meldet sie sich unter: »Was soll das Verfallsdatum auf saurer Sahne?« So kommt sie durch. Die Umfrage meiner Tageszeitung kam nur zu mir mit der Ankündigung: »Gilt die Pressefreiheit auch für Zitronen?« Ich habe sie öffnen können. Mein Computer zeigt Gefühle. Ich auch. Ich stelle ihn nun manchmal bei gutem Wetter in den Garten. Gestern war er dabei, als ich mir im Kino einen 3-D-Film angeschaut habe. Heute werde ich ihn anlassen, wenn ich schlafe. Ich mag es, wenn er mir beim Schlafen zuschaut. Ich finde es so rücksichtsvoll, wenn er plötzlich sein Vollbild verdunkelt, damit ich besser träumen kann.
 
20. März: »Mehl rutscht nicht nach«, sagte die Bäckereiverkäuferin. Ich hatte gerade einen LKW gesehen, der sein Weizenmehl mit riesigen Schläuchen in den Hinterhof der Bäckerei pumpte. Der Fahrer des LKW schlug dabei mit einem Gummihammer gegen die große Mehltrommel, die wie ein Schneckenhaus auf dem Hinterteil des LKW thronte. Er tat dies nicht energisch, sondern eher matt und mutlos, als sollte ein Gong zum Essen rufen und keiner kommt. Ich ging an ihm vorbei in den Verkaufsraum und fragte die Bäckereiverkäuferin, warum der Mehlmann solch ein Verhalten an den Tag lege, und sie zögerte nicht eine Minute, um mich vollauf mit der Erklärung zufrieden zu stellen: »Mehl rutscht nicht nach.« Glücklich schaute ich durch die Schaufensterscheibe. Man hört so wenig über das Rutschverhalten von Mehl. Ich war froh, dieses Thema angesprochen zu haben.
 
23. März: Ich lese gerne Schopenhauer: »Man muß lernen, auch in der Gesellschaft einsam zu sein, nicht alles, was man denkt, anderen mitteilen, noch es genau nehmen, mit dem was sie sagen, und keinesfalls den Gleichmut verlieren. man muß also, mitten unter ihnen, nie ganz in ihrer Gesellschaft sein. So betrachtet ist dann die Gesellschaft einem Feuer zu vergleichen, an dem der Kluge sich in einiger Entfernung wärmt.« Später fragte ich mich, was denn die kontaktfreudigen Rheinländer zu dieser These sagen würden, doch ich traue mich nicht, sie zu fragen. Ich habe Angst, von ihnen umarmt zu werden. Ronald stammt aus dem Rheinland.


© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker