Erzählt: Ein fremdes Leben

Alessandro Baricco: Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten.

von Martin Hagemeyer

Foto © Frank Becker
Erzählt: Ein fremdes Leben
 
Alessandro Baricco: Novecento.
Die Legende vom Ozeanpianisten.
 
 
Ein Mann steht auf der Bühne und erzählt aus dem Leben. Nicht aus seinem. Es ist das Leben des bereits verstorbenen Ozeanpianisten Novecento. Warum sonst dieses Leben dem Mann auf der Bühne dann aber so wichtig ist, daß er ohne Unterbrechung davon erzählt: Bei der Premiere „Novecento“ im Kleinen Schauspielhaus Wuppertal wurde das nicht recht klar.
 
Der Schriftsteller Alessandro Baricco hat den Text für einen italienischen Schauspieler und einen bestimmten Regisseur geschrieben, die er beide persönlich kannte. Das mag mit erklären, warum heute wie bei vielleicht jeder davon abweichenden Besetzung etwas fehlt. Hendrik Vogt spielt in der Inszenierung von Thomas Ulrich den Jazztrompeter Tim Tooney, der aus der Ich-Perspektive das außergewöhnliche Schicksal der Titelfigur Revue passieren läßt. Der junge Schauspieler verkörpert den bärtigen Seebär, der seine besten Tage in den Golden Twenties hinter sich hat, als Rauhbein mit bis zum Schluß rumtrunkener Stimme, die sich ins Gehör einprägt. Auch wirkt er beim Spielen älter und überhaupt viel näher an der Rolle, als die Probenfotos es vermitteln mögen.
Das ist es nicht.
 
Was er zu erzählen hat, das ist ja in der Tat der Rede wert, der gut einstündigen. Danny Boodman T. D. Lemon Novecento, Band-Pianist auf der „Victorian“, Tooneys Freund und Kollege, hat zeit seines Lebens dieses Schiff nicht verlassen: von der Geburt auf hoher See nach einem Liebesabenteuer bis zum Tod, als der Dampfer mit seiner Dynamitfracht in die Luft fliegt. Schon als Kind hat Novecento begonnen, auf dem Bordklavier zu spielen, und mit den Jahren hat er mit Tooney und der Band zahllose Stunden Jazz-Improvisation über die Weltmeere geschippert. Dem Element bleibt er schließlich noch dann treu, als schon die Lunte brennt: „Man kann zwar von Bord eines Schiffes kommen. Aber vom Meer?“ So sagt es sein Kompagnon.
 
Eine schöne und traurige Geschichte, das ist schnell zu merken. Was nicht so deutlich wird: Das ist der, der sie erzählt. Was will Tooney? Wie war eigentlich sein Verhältnis zu dem gefeierten Novecento? Und damit: Will dieser Text wirklich noch etwas anderes, als eben ein fremdes Leben Revue passieren zu lassen? Von einer Figur im Kostüm wünscht man sich das aber.
Nicht leichter macht es die Sprache, die für die Inszenierung offenbar nicht geschmeidiger gemacht wurde und zwischen Witz und Förmlichkeit nicht allzu lebendig klingt mit Formulierungen wie „Er meinte, es mache was her, wenn man mitten im Namen einen Buchstaben stehen hat.“ Als Person macht das Tooney, den Trompeter, eher noch ungreifbarer.
 
In einem stillen Moment nach dem Schlußapplaus ist am Rand des Foyers von draußen die ratternde Schwebebahn zu hören. Allzu oft wird man das bei Premieren nicht mehr erleben an diesem Ort. Sollte am Ende das Untergangsszenario der Grund sein, warum „Novecento“ kurzfristig in den Spielplan aufgenommen wurde? Heißt aber ja: Den Grund dafür sucht man noch.
 
Wenn man sich dann am nächsten Tag den Baricco-Text besorgt, um zu sehen, ob man, am Abend leider verspätet, vielleicht etwas Wichtiges verpaßt hat, dann liest man im Vorwort des Autors: „Ich weiß nicht, ob das ausreicht, um zu behaupten, ich hätte ein Theaterstück geschrieben“, und weiter: „ich habe da meine Zweifel.“ Und als Grund – nur für den Text freilich, der vielleicht kein Stück ist: „Es ist eine schöne Geschichte.“ Und mag dem, beidem, eigentlich nichts hinzufügen.

Inszenierung: Thomas Ulrich. - Besetzung: Hendrik Vogt. - Übersetzung: Karin Krieger.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de