Die Unzerstörbare
1.
Ach, Europa, süßer Spielball du.
Göttervater selbst, Zeus,
hat sein Spiel mit dir getrieben,
droben in den kretischen Bergen.
Du rolltest nur, rolltest und lachtest,
derweil er dir Söhne schenkte ohne Zahl,
Söhne gewandt mehr mit dem Wort
als mit dem Schwert und gewitzt.
Hießest sie Boote bauen und sandtest sie
über die Meere, auf daß sie gründeten
Chalkis und Korinth, Ephesos und Milet,
Syrakus, Poseidonia und Massalia,
Städte ungezählt,
wo sie von Ulisses Irrfahrten sangen
und Handel trieben mit den Barbaren
mit Vasen und Amphoren,
bildreich und sprechend
von herkulischen Taten
und der Weisheit Athenens.
2.
Wo solches Maß herrscht, solche Kunst,
muß das Leben leicht sein und süß,
wähnten die Barbaren,
die Kelten und Dorer,
und zogen hinunter in die Städte
und fanden nicht, wovon sie träumten,
und zerschlugen und zerstörten
Tempel und Städte
und schlachteten und mordeten
Männer und Frauen, Kinder und Greise.
Du rolltest nur, rolltest und weintest,
Unzerstörbare du,
und hießest deine Söhne,
neue Städte zu bauen am neuen Ort
und Wandelgänge für die Schüler des Sokrates
und Bühnen für die Tragödien des Sophokles
und weiter Handel zu treiben mit
den Barbaren aus dem Norden,
auf daß diese lernten
das rechte Maß und die hohe Kunst.
3.
Doch wieder rumorte es
hoch im Norden.
Barbarische Horden,
bewehrt mit Lanzen und Schwertern,
rotteten sich zusammen,
zu kosten von der Süße des Lebens
in den südlichen Städten.
Da raunten deine Enkel,
die Söhne des Äneas, am Ufer des Tiber,
wir dürfen nicht zulassen, daß sie
unsere Töchter nehmen,
und sannen, was zu tun sei,
und beschlossen,
Legionen aufzustellen und Kohorten,
gedrillt und bewaffnet,
gleich den Männern aus Sparta und Athen,
die einst die Perser vertrieben
bei Salamis und den Thermopylen.
Und gaben ihrem Konsul Marius
den Befehl über die Streitmacht,
daß er die Eindringlinge vernichte,
wo er sie träfe.
Und er traf die Teutonen bei Aquae Sextae
und schlug sie, daß nicht einer zurückfand
in seine Heimat. Und verfuhr
mit den Kimbern nicht anders.
4.
Du rolltest nur, rolltest und riefest
nach der Tochter Kassandra,
daß ihr Klage hieltet über die Büchse der
Pandora, die Marius und der römische Senat
geöffnet hatten,
blind für die Übel,
die sie über die Welt zu bringen begannen
mit dem Wissen,
daß sich Imperien schmieden lassen
mit Legionen und Waffen.
Du rolltest nur, rolltest in Trauer
immer tiefer hinein in deine Höhle,
und vergossest Flüsse von Tränen,
wenn deine Enkel immer neu dem Wahn erlagen,
sie müßten ein Reich errichten mit Waffen.
Mit dem Julier fing es an
und endete nicht mit Konstantin.
Denn der Wahn fand immer neue Opfer,
erst den Franken Karl,
nur wenig später Barbarossa,
dann den Preußen Friedrich und den Korsen Bonaparte,
und wieder war’s ein Preuße,
der von dem Wahn besessen war:
Wilhelm zwei.
Keiner aber schlimmer
als der Deutschen Führer
Adolf Hitler.
5.
Ein langer Winter war vergangen,
ein lauer Hauch blähte deine Ärmel,
ein Strahl Sonne traf dein verhärmtes Gesicht.
Du rolltest aus der Höhle,
sahst das Tal in Blüte.
Ein Ruf von fern traf deine Ohren.
Dein Enkel Schuman,
Robert geheißen,
hatte die uralten Texte studiert
und gefunden, wonach dir verlangte,
daß nur Handel die Völker verbinde.
Im Austausch Kohle gegen Stahl
werde jeder genug von allem haben,
um neue Wandelgänge zu errichten
für die Schüler des Sokrates
und Bühnen für die Komödien des Euripides.
Du rolltest nur, rolltest und lachtest,
süßer Spielball du, Unzerstörbare.
6.
Du sonntest dich im neuen Frieden,
auch wenn Zweifel in dir stiegen
und du jedes Murren hörtest
gegen der Deutschen erstes Geigenspiel
und der Franzosen Dirigat,
das erst die Bauern kaufte,
dann mit Einheitsgeld die Welt bezaubern wollte,
liebstes Kind des greisen Mitterand.
Die deutsche Stimme bekam er gegen Land
und zierte das neue Geld mit deinem Namen.
Es kam zu früh, du wußtest es
und verstandest nicht die Ungeduld.
Warum nicht warten, bis die alte Regel fruchtet,
daß des Schwächeren Stärke an die Stelle tritt
des Stärkeren Schwäche im Zuge freien Handels?
Nun hadern deine Völker
mit dem Gesetz des Einheitsgeldes
und müssen täglich neu die Netze flicken,
durch die ihr Reichtum zu entschwinden droht,
derweil du rollst und rollst
und um Dein Erbe fürchtest.
Wolf Christian von Wedel Parlow
7. März 2013 © Wolf Christian von Wedel Parlow - Erstveröffentlichung in den Musenblättern
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