Zwischen malerischer Form und körperlosen Gestalten

- Giacometti und Nolde - in Hamburg und Emden

von Jürgen Koller

Zwischen malerischer Form
und körperlosen Gestalten
Im Norden werden zeitgleich
zwei Extreme präsentiert
- Giacometti und Nolde -
 
 
Es mag Zufall sein, daß die Hamburger Kunsthalle und das Bucerius Kunstforum in Hamburg mit Alberto Giacometti und die Kunsthalle in Emden mit Emil Nolde zeitgleich zwei der Großen der Bildkunst des 20. Jahrhunderts präsentieren. Auf den ersten Blick verbindet diese zwei extremen Künstler kaum etwas miteinander - Giacomettis entkörperlichte, im besten Wortsinne drahtige Stehende und Schreitende haben so gar nichts gemein mit den expressiven grobflächigen schwarz-weißen Holzschnitten, den malerisch angelegten Lithografien oder den in leuchtenden Farben aquarellierten, kleinformatigen “ungemalten Bildern“ Noldes. Interessanterweise waren für beide Künstler beim Kunstmachen die klauseartigen, in ihrer räumlichen Gedrängtheit eigentlich völlig ungeeigneten Atelierräumlichkeiten von bestimmender Bedeutung. Nolde, damals noch unter seinem Geburtsnamen Hansen, zimmerte sich zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn auf der Insel Alsen bei Flensburg, unmittelbar an der Küste der Ostsee, eine „Bretterbude“, wo er in mönchischer Einsiedelei seine bildkünstlerische Auseinandersetzung mit dem Meer suchte. Und bei Giacometti war es zeitlebens ein 18 Quadratmeter (!) maroder Atelierraum in der Pariser Rue Hippolyte, wo er sich im Ringen um die von ihm gesehenen menschlichen Proportionen mit Draht und Gips abquälte. Mehr Bezugspunkte sind zwischen diesen beiden, dem Maler und dem Skulpteur kaum nachweisbar.

Die Hamburger Kunsthalle zeigt von Alberto Giacometti (1901-1966) in einer groß angelegten Schau mit rund 200 Werken wegweisende Versuche zu „Spielfeldern“, wobei die Positionierung dieser Modell-Skulpturen als geheimnisvolle “fragile Unikate“ auf leider nie realisierte Platzgestaltungen verweisen. Die Schau beginnt mit Giacomettis kaum bekanntem surrealistischen Frühwerk. Der zum Mythos gewordene Arbeitsraum verdeutlicht an Hand von Gemälden, Zeichnungen und Fotografien die ideelle Bedeutung dieses Umfeldes für die unerschöpfliche Energie Giacomettis bei der Ausformung seiner minimierten Figürchen oder seiner überlebensgroßen Skulpturen. Höhepunkt der Kunsthallen-Präsentation des Oeuvres von Giacometti ist die nachempfundene Gestaltungsidee eines Vorplatzes einer Bank in Manhattan. Drei Skulpturen verdeutlichen die Raumkunst des Künstlers - eine stehende Figur, eine schreitende Skulptur und ein auf Wirkung im Freiraum gestalteter großer Kopf bilden ein Raumkunsterlebnis. Da die Besucher der Ausstellung diesen Raum mit den drei Figuren durchschreiten können, kann man erahnen, welche Wirkung von Giacomettis „idealer Platzgestaltung“ auf die New Yorker ausgegangen wäre.

Parallel zur Ausstellung in der Kunsthalle wird unter dem Titel „Giacometti und sein Kreis“ die
Porträtkunst des Künstlers im Bucerius Kunstforum nahe dem Hamburger Rathaus gezeigt. Bildnisse seiner Familienangehörigen und seiner Pariser Freunde im Kreis um Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, die zum Teil erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert werden, erhellen Giacomettis Weg von den surrealistischen Anfängen zur Auseinandersetzung mit dem Antlitz und der Person gegenüber. Gedanken des Existentialismus, dem er nicht abgeneigt war, fließen in anonyme Porträts und in seine überlängten Skulpturen ein. Neben plastischen Porträts werden in der Schau auch noch Bildnis-Gemälde vorgestellt, deren abgebildete Gesichter unter zurückgenommener Farbigkeit, oftmals weiß gehöht, zeichnerisch „abtastend“ aus unzähligen Linien geformt, gleichgültig frontal auf den Betrachter blicken. In jeder seiner Arbeiten ist Giacomettis quälendes Ringen um die menschliche Proportion zu spüren, wie sie von ihm gesehen wurde. Über die abfällige Kritik, wie sie kürzlich in der „Zeit“ zu lesen war, daß Giacomettis Burnout-Gestalten von einem Überschätzten stammten und dessen Arbeiten den Betrachter und die Kunst ruhigstellten, weshalb sie sich für Bankfoyers so gut eignen würden, kann man nur verwundert den Kopf schütteln.
 
In diesem Jahr wäre der Journalist und Gründer der Emdener Kunsthalle, Henri Nannen, 100 Jahre alt geworden. Die Kunsthalle, die1986 eröffnet wurde, ist sein Vermächtnis an seine Vaterstadt Emden. Nicht nur daß er seine herausragende Sammlung der Kunst der Klassischen Moderne in dieses Haus eingebracht hat, er hat darüber hinaus seinen hohen Bekanntheitsgrad und seine „Vernetzung“ mit Politikern, Bankern und Unternehmern geschickt genutzt, um immer wieder Sponsoren-Gelder für die Kunsthalle einzuwerben. Das Jahresprogramm 2013 hat mit einer Schau von Werken Emil Noldes (1867 - 1956) begonnen. Die Ausstellung steht unter dem Titel „Maler-Grafik“, aber auch ein Konvolut von zwanzig seiner kleinformatigen , in leuchtenden Farben aquarellierten “ungemalten Bildern“ ist zu sehen. In der öffentlichen Wahrnehmung steht Noldes Malerei im Focus, doch die über 100 gezeigten Holzschnitte, Lithografien und Radierungen belegen eindrucksvoll, daß „das grafische Werk von ebenbürtigem Rang ist und sich durch außergewöhnliche malerische Qualität auszeichnet“.
Welche Faszination von seinen Holzschnitten ausgeht, soll am Beispiel des „Propheten“ verdeutlicht werden. Das Blatt ist eines der markanten Belege der expressiven Holzschnittkunst des norddeutschen Meisters und nimmt einen zentralen Platz in der Schau ein. Bewusst wurde dieser Holzschnitt seinerzeit als Titelgrafik des kleinen Buches „Emil Nolde - Holzschnitte“, das der Buchheim Verlag Feldafing 1957 (!) heraus brachte, ausgewählt, ist er doch charakteristisch für Noldes Holzschnittwerk. Es ist noch der Baum mit seiner Rinde zu spüren, wo das Messer im Druckstock nach oben führende schwarze Splitter, Flecken und Inseln hat stehen lassen. Die Augen sind unentrinnbar, stechend, faszinierend – „ es wird tief in die Welt hinein, über sie hinaus geschaut“. Insgesamt aber ist Noldes Grafik weniger schroff als die der „Brücke“-Künstler, eher malerischer, mit weichen Linien und lebendiger Farbigkeit angelegt. Immer wieder, wie in seiner Malerei, sind maritime Motive in seinen Schnitten und Lithografien zu finden, aber auch erotische Tanzszenen oder Blätter mystischen, manchmal auch biblischen Inhalts. Faszinierend sind seine Litho-Porträts in verschiedenen Farbausdrucken, wie überhaupt bei Noldes Holzschnitten und Lithografien die Lust am Experiment und am Variieren der Druckversionen erlebbar wird.

Es gehört zur Lebenstragik des Künstlers Emil Nolde, daß er sich nach 1933 anfangs den Nationalsozialisten verbunden fühlte und nicht deren Kulturverleugnung erkennen konnte. Und es waren eben diese gleichen Nazis, die über tausend seiner Werke als „entartet“ aus deutschen Museen und Sammlungen entfernten, um sie in der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München zu verleumden oder zu vernichten oder für billiges Geld ins Ausland zu verramschen. Anfang der vierziger Jahre noch mit Malverbot belegt und von der Gestapo kontrolliert, aquarellierte er in einem versteckten Raum seines Atelierhauses in Seebüll hunderte kleinformatige, traumhaft schöne Blätter, die er selbst seine „ungemalten Bilder“ nannte. Einige davon hat er nach dem Krieg als Gemälde umgesetzt. Die in der Schau „Maler-Grafik“ gezeigten Aquarelle machen neugierig und Lust auf mehr.
 
Die Giacometti-Ausstellung „Spielfelder“ in der Kunsthalle Hamburg läuft noch bis
19. Mai 2013 und die Ausstellung „Giacometti und sein Kreis“ im Bucerius Kunstforum Hamburg ist noch bis 20. Mai 2013 geöffnet.

Emil Nolde „Maler-Grafik“ und „Ungemalte Bilder“ in der Kunsthalle Emden endet
am 26. Mai 2013.
 
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