Die Malerei des Manierismus in Italien

Norbert Schneider – „Die antiklassische Kunst“

von Rainer K. Wick

Die Malerei des Manierismus
in Italien

Zu Norbert Schneiders Buch
„Die antiklassische Kunst“
 

Pontormo im Landesmuseum Hannover
Ausstellungen, die Meisterwerke des italienischen Manierismus zeigen, haben in Deutschland Seltenheitswert. Insofern kam der soeben beendeten Ausstellung von Gemälden des Florentiner Manieristen Jacopo Pontormo eine besondere Bedeutung zu. Diese sehenswerte Pontormo-Ausstellung – es handelte sich um die erste „Personality-Show“ des Künstlers (1494-1557) in Deutschland überhaupt –, die den Maler in den Kontext der Florentiner Kunst jener Zeit stellt, gibt Anlaß, sich etwas breiter mit dem Phänomen „Manierismus“ zu befassen. Dazu bietet das kenntnisreiche neue Buch „Die antiklassische Kunst“ des prominenten Kunsthistorikers Norbert Schneider, in dem natürlich auch auf Pontormo eingegangen wird, eine ausgezeichnete Grundlage.
 
Manierismus – ein schillernder Begriff
Der Begriff „Manierismus“ meint jene künstlerische Hauptströmung zwischen Hochrenaissance und einsetzendem Barock, die früher allgemein als Spätrenaissance bezeichnet wurde. Das italienische Wort „maniera“ bedeutet aber zunächst nichts anderes als „Art und Weise“, ist also genuin kein Begriff der Kunstgeschichte. Giorgio Vasari, der nicht nur als Gründungsvater der Kunstgeschichte gilt, sondern dessen eigenes künstlerisches Werk dem Manierismus zugerechnet wird, sprach in seinen „Vite“, den Lebensbeschreibungen der herausragenden Künstler Italiens, von „maniera“, um damit den Spätstil Michelangelos zu bezeichnen. Manier bedeutete in diesem Sinne also nicht einen Epochenbegriff, sondern die ganz spezifische, individuelle Eigenart des Künstlers, in diesem Fall also den Individual- oder Personalstil Michelangelos. Während bei Vasari der Begriff „maniera“ neutral blieb, erfolgte seit der zweiten Hälfte des 16. Jh. seine „Negativierung“ (Schneider). Manieriert bedeutete nun und in der Folgezeit in erster Linie gekünstelt, skurril, übertrieben, geziert, kapriziös, geschraubt, absonderlich, kurios und abstrus, um nur einige der zahllosen Näherungsbegriffe zu nennen.
Erst nach dem ersten Weltkrieg vollzog sich in der Kunstgeschichte eine Wende. Der negativ besetzte Begriff verwandelte sich zu einem neutral gemeinten Stil- und Epochenbegriff für künstlerische Entwicklungen nach dem Tod Raffaels bis hin zur Entstehung des Barock. Gleichwohl ist das Vokabular, das zur Charakterisierung manieristischer Tendenzen Verwendung findet, oft genug immer noch abwertend. Da ist von Entartung, Perversion, Dekadenz, Künstlichkeit und Extravaganz die Rede, von antiklassischer Revolte, von einer snobistischen, affektierten und kapriziösen Kunst exzentrischer Individualisten, von paradoxen Synthesen, von Prozessen der Störung und Zerlegung, vom Zweifel an der Normalität, von der Negation sowohl antiker Ideale als auch der Natur als Lehrmeisterin. Und der Manierismus wird – sicherlich nicht ganz zu Unrecht – als Krisensymptom begriffen, als künstlerischer Ausdruck tiefgreifender politisch-gesellschaftlicher Umbrüche in Italien nach der brutalen Eroberung und Plünderung Roms im Jahr 1527 durch Truppen des Habsburgers Karl V., dem legendären „Sacco di Roma“.
 
Hofkunst, Kunst der Gegenreformation
Im Horizont der modernen Kunst des frühen 20. Jahrhunderts wurden die Manieristen des 16. Jahrhunderts nicht selten zu Wegbereitern des Expressionismus und vor allem des Surrealismus stilisiert, so vor allem von so einflußreichen Autoren wie Gustav René Hocke und Arnold Hauser. Norbert Schneider grenzt sich in seinem lesenswerten Buch von derartigen Deutungen ab und bevorzugt eine etwas andere Sichtweise. Für ihn ist „maniera“ der typische Inbegriff jener höfischen Kunst, die sich im 16. Jahrhundert an den frühabsolutistischen Fürstenhöfen der italienischen Stadtstaaten etablierte und – das ist der zweite Aspekt – Ausdruck einer von der katholischen Kirche im Zuge der Gegenreformation favorisierten Kunstauffassung. „Bilderdekrete“ sollten dazu dienen, die Künstler auf die kirchlichen Dogmen zu verpflichten; Motive aus der antiken Mythologie waren unerwünscht, vorzugsweise sollten biblische und kirchengeschichtliche Themen behandelt werden, nackte Figuren wurden als sittenlos gebrandmarkt, kurzum, die Kunst sollte in erster Linie der Stärkung des Glaubens und dem Lob Gottes dienen.
 
Die Zentren und ihre Protagonisten
Das alles wird von Norbert Schneider nach einer Grundsätzliches diskutierenden Einleitung im Hauptteil des Buches in zwölf Kapiteln, die die Zentren des Manierismus und die dort wirkenden Künstler behandeln, differenziert dargestellt. Am Anfang steht Rom, unbestrittene Kapitale der Hochrenaissance, wo bei Raffael und vor allem bei Michelangelo bereits früh ein latenter Manierismus greifbar wird. Florenz, die Wiege der Frührenaissance (siehe den Bericht zur Ausstellung „Der Frühling der Renaissance“ im Palazzo Strozzi) gewinnt nach dem „Sacco di Roma“ gegenüber der Ewigen Stadt wieder an Boden und verfügt mit Andrea del Sarto, dem eingangs genannten Jacopo Pontormo, Rosso Fiorentino, Agnolo Bronzino und anderen Künstlern eine Reihe herausragender Vertreter manieristischer Malerei. In Venedig verdient das Spätwerk Tizians Beachtung, dann natürlich Veronese und der die Farbe Tizians und die Zeichnung Michelangelos zur Synthese führende Manierist Jacopo Tintoretto. In Oberitalien war es Giulio Romano, der in Rom zu den Schülern und engsten Mitarbeitern Raffaels gehört hatte und nach dessen Tod als Baumeister und Maler den Manierismus nach Mantua brachte, wo er den Palazzo del Tè entwarf und zum Teil mit Fresken ausmalte. In Parma wirkten Correggio, der zuweilen noch der Hochrenaissance zugeschlagen wird, und Parmigianino, dessen „Madonna mit dem langen Hals“ (1534-40) zu den Inkunabeln manieristischer Malerei gehört, übrigens nicht nur wegen der überlängten Proportionen, sondern auch wegen des für den Manierismus typischen Drehmotivs der sog. Figura serpentinata. Daß Schneider in ein Buch, das explizit dem Manierismus in Italien gewidmet ist, Kapitel über das böhmische Prag und das französische Fontainebleau aufnimmt, mag zunächst irritieren, überrascht aber nicht, wenn man um die bedeutende Rolle des Mailänder Malers Giuseppe Arcimboldo am Prager Hof und jene des Florentiner Künstlers Rosso Fiorentino bei König Franz I. in Frankreich weiß.
 
Fazit: mit kleinen Einschränkungen empfehlenswert
Schneiders Buch ist fachlich fundiert, faktenreich und flüssig lesbar. Nützlich ist ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Kritisch anzumerken sind die schlechte Reproduktionsqualität der Schwarzweißabbildungen und das dilettantische Layout (offenbar um Bilder in bestimmten Größen an bestimmten Stellen zu plazieren, bleiben manche Seiten halb leer), außerdem wäre mehr Sorgfalt bei der Lektorierung wünschenswert gewesen. Die wenig attraktive Aufmachung als Paperback und der Preis von 34,90 € stehen in keinem günstigem Preis-Leistungsverhältnis. Doch das sind Einwände, die sich nicht an die Adresse des Autors richten. Norbert Schneider, als Professor für Kunstgeschichte seit einigen Jahren im Ruhestand, ist zu attestieren, eine kompetente Veröffentlichung zu einem spannenden Thema vorgelegt zu haben, das nach Jahren relativer Vernachlässigung nun erneut in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangt ist – sei es in Form von Ausstellungen, sei es in Buchform.
 
Norbert Schneider – „Die antiklassische Kunst“
Malerei des Manierismus in Italien, Karlsruher Schriften zur Kunstgeschichte, Bd. 6
2012 LIT Verlag, 328 S., broschiert, ISBN 978-3-643-11602-4
34,90 €
 
Weitere Informationen: http://www.lit-verlag.de/