Der Atem der Geschichte

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Paul Maaßen
Der Atem der Geschichte
 
Ich weiß gar nicht, ob Sie so etwas interessiert? Aber Friedrich der Große soll zuletzt kaum noch einen Zahn gehabt haben! Und sein Diener soll ihn vier Stunden im Arm gehalten haben! Und sein Lieblingshund hat auch noch ein Kissen gekriegt, auf dem Stuhl! Aber es hat alles nix genutzt! Der Mann war ganz große Klasse, habe ich zu meiner Frau gesagt! Friedrich von Preußen und Hohenzollern und Nürnberg und Hannover! Hat  aber alles nix genutzt! »Das ist doch der«, hat meine Frau gesagt, »der immer aussah wie der eine Schauspieler, der einen grausamen Vater hatte!« »Ja«, sage ich, »der ist das!« »Der ist doch schon über 200 oder 300 Jahre tot!« »Ja, sicher, aber wenn ich das früher gewußt hätte, wäre ich mit zu der Beerdigung gegangen!« »Du hast den doch gar nicht gekannt! Und außerdem hast du doch gar keine Ahnung von Deutscher Geschichte! Du redest zwar viel, aber wissen tust du doch nix!« »Moment mal«, habe ich da gesagt, »ich bin Preuße, immerhin!« »Ja, das ist aber auch alles«, hat da meine Frau gesagt. »Seit wann interessierst du dich denn für Friedrich den Großen?« »Seit er tot ist«, habe ich da gesagt! »Weil er gestorben ist! Der Mensch«, sage ich, »interessiert sich immer erst für den Menschen, wenn er tot ist!« »Ja, das merke ich«, hat da meine Frau gesagt. »Ich interessiere mich halt für die ganz großen Geister, während du dich zum Beispiel zwar besser auskennst, aber dich nicht interessierst, wenn es richtig darauf ankommt!« »Was heißt denn, wenn es darauf ankommt?«»Tja«, habe ich gesagt, »das heißt... öh... das heißt, daß du zum Beispiel keine Pompadour sein kannst, weil du dich nicht interessierst, während ich mich interessiere, aber es gar nicht nötig habe, Friedrich der Große zu sein!« »Du bist doch größenwahnsinnig!« hat da meine Frau gesagt. »Nein, ich bin nicht größenwahnsinnig, ich bin Preuße! Und wenn ich damals in die Nähe vom Alten Fritz geraten wäre...« - »Du kannst ja nicht einmal Blockflöte spielen«, hat da meine Frau gesagt. »Wenn ich in die Nähe des Alten Fritz geraten wäre, wäre ich heute Philosoph und könnte Französisch! Enchanté Madame!« »Du wärst im Siebenjährigen Krieg gar nicht mehr nach Hause  gekommen«, hat da meine Frau gesagt. Das ist eben Geschichte! Und je weiter die Geschichte zurückliegt, desto mehr Feierlichkeiten gibt es später! Ich wäre ja auch gerne in der Nähe von Friedrich dem Zweiten, dem großen Staufer, gewesen.! »Der war doch genau so schlimm«, hat da meine Frau gesagt. »Aber fortschrittlich! Und der Alte Fritz wollte schon damals die Folter abschaffen, die heute immer noch auf vollen Torturen läuft!« »Siehst du«, hat da meine Frau gesagt, »siehst du! Und da willst du immer noch in jeder Geschichte deine Finger drinhaben? Ausgerechnet du!« Da habe ich meine Frau lange angeguckt und gesagt: »Ja, wer denn sonst?« 
 
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Das Foto stellte freundlicherweise Paul Maaßen zur Verfügung.