Tränen, Küsse und Gewalt

Ovids "Liebeskunst" - neu übersetzt

von Konrad Beikircher
Publius Ovidius Naso
Tränen, Küsse und Gewalt
Buch I 659-720
 
 
Tränen, nützliche Tränen!
Selbst Stahl können Tränen erweichen.
Wenn es nur irgendwie geht
und deine Wangen benetzt sind:
laß es sie seh’n.
Und wenn es nicht klappt -
wer weint denn schon immer
im rechten Moment -
schnell mit der Hand,
der nassen, ans Auge.
Jeder, der weiß, worum’s geht,
mischt Komplimente mit Küssen:
ziert sie sich oder bleibt spröd -
hol sie Dir einfach von ihr.
Klar, daß sie erstmal sich sträubt
und anfängt, Dich zu beschimpfen.
Doch dahinter steckt nur,
sich von Dir besiegen zu lassen.
Acht aber drauf, daß trotz allem
Du ihren Lippen nicht weh tust,
weil sie sich sonst über Dich
als ätzenden Macho beklagt.
Allerdings: raubst Du nur Küsse
und läßt alles andere liegen
dann geschieht es Dir recht
wenn Du auch die noch verlierst.
Nenn es von mir aus Gewalt,
egal - so gefällt es den Mädchen:
oft erfreut tausendmal mehr
das, was man - nachgebend - schenkt.
Wird sie in plötzlichem Sturm
zur Liebe genötigt
freut sie sich oft - und den Sturm
sieht sie als zärtliches Lüftchen.
Bleibt aber die,
die man nötigen könnte,
allein, ist’s ihr nicht recht
auch wenn sie scheinbar erfreut ist.
Manchmal ist es auch so:
man weiß nicht so recht, wie beginnen,
und man hätte es gern,
daß es der andere macht;
da sei ein Mann und geh auf sie zu
und bitte mit neckischen Worten.
Willst Du sie haben, dann bitte!
Sie möchte gebeten werden.
Merkst Du jedoch, sie wird stolz,
weil Du um solcherlei bittest,
laß es so stehen
und ziehe Dich etwas zurück:
viele streben nach dem,
was scheinbar in Ferne gerückt ist
und sie verschließen sich dem
was ihnen zu stark auf die Haut rückt.
Drängen, das schon, aber zart,
dann hat sie Dich gern in der Nähe.
Außerdem darf man nicht immer
direkt, was man möchte, schon zeigen:
oft ist es besser, Du tust so
als sei nur Freundschaft Dein Ziel.
Das hat schon oft funktioniert,
daß, was spröde war, endlich sich biegt!
 

 
Ovids "Liebeskunst" - neu übersetzt von Konrad Beikircher