Meine Begegnungen mit Karl-Friedrich Zelter

Erinnerungen an einen leidenschaftlichen Mann

von Hermann Schulz

Karl-Friedrich Zelter - Foto: privat
Meine Begegnungen mit
Karl-Friedrich Zelter
 
In den Jahren 1967 bis 2001 leitete ich in Wuppertal den Peter Hammer Verlag. Übernommen hatte ich die Geschäftsführung von Johannes Rau, der dann ganz in die Politik ging. Zu den Besonderheiten meiner Arbeit gehörte die Entwicklung der Programme und als Teil des Marketing der Aufbau eines breiten Netzwerkes von Freunden in den Organisationen, politischen Parteien und Kirchen. Ein Verlag mit wenig Geld kann solche Verbindungen manchmal lebensrettend nutzen. Einer meiner Autoren war der Priester und Dichter Ernesto Cardenal, durch ihn wurde ich tief in die politischen Entwicklungen in Nicaragua, vor und nach der Revolution 1979, hineingezogen.
 
Nach meinem Kalender war es das Frühjahr 1980, als sich unangemeldet ein stattlicher Mann bei meiner Sekretärin meldete und fragte, ob ein Hermann Schulz zu sprechen sei, er habe über ihn in der ZEIT gelesen.
Der Name Zelter weckte meine Neugierde. Natürlich dachte ich an Goethes Freund, den Komponisten. Wir sprachen an dem Tag sicher zwei oder drei Stunden miteinander, wobei erlaubt sei anzumerken, daß vor allem Herr Zelter sprach. Er fand die Revolution in Nicaragua wunderbar und würde gern mit seinen Mitteln helfen, das Land aufzubauen. Er habe da verschiedene Projekte entwickelt, einen Traktor zum Beispiel, der sehr kostengünstig zu bauen sei und vieles andere. Vor allem interessierten ihn der Fischfang im Großen See von Nicaragua und die Verwertung der wunderbaren Früchte des tropischen Landes. Ich klagte, das Land sei heruntergekommen, es gebe kaum fahrtüchtige Boote, alles sei vernachlässigt. Da erzählte er mir, in Bremen sei geplant, das Fährschiff „Gröpeln“ auszumustern. So ein Ding würde man doch in Nicaragua gut brauchen können. Ich war sogleich hellwach. Man müßte Kontakt zum Bürgermeister von Bremen aufnehmen, riet Zelter. Ich rief spontan meinen Freund Henning Scherf an – und wir brachten die Sache auf den Weg. Das Fährschiff sollte auf einen kubanischen Frachter geladen und an der Atlantikküste abgesetzt werden. Dann würde man den Rio San Juan bis San Carlos fahren und den Großen See erreichen.
Es gehört zu dieser Geschichte, daß wenige Tage nach dem ersten Besuch von Friedrich-Karl Zelter ein Fernsehteam in meinem Büro war, junge wache Leute, die mich wegen einer neuen Friedrich-Engels-Ausgabe interviewen wollten. Ich erzählte ihnen von der „Gröpeln“, und sie beschlossen sogleich, daß die Reise der „Ferry Gröpeln“ von Bremen nach Nicaragua einen wunderbaren Filmstoff abgeben könnte. (Der Film kam zustande, allerdings wurde das kleine Team während der Fahrt auf dem Rio San Juan von den sog. „Contras“ beschossen, eine der Journalistinnen verlor dabei ein Auge, ein begleitender deutscher Arzt wurde schwer verletzt. Die Gröpeln ging unter und wurde erst Jahre später von deutschen Entwicklungshelfern wieder gehoben.)
 
Das war ein Beispiel von vielen wunderbaren Plänen dieses Herrn Zelter. Er besuchte mich mehrfach in Wuppertal – und ich ihn in seinem Dorf Bassum in Norddeutschland. Weil mich der Pragmatismus und Einfallsreichtum dieses Mannes mit dem sanften Gesicht und den wachen Augen beeindruckten, telefonierte ich bald mit Dr. Sergio Ramírez, dem damaligen Vizepräsidenten von Nicaragua. Ich war damals so etwas wie eine Vertrauensperson für die Sandinistische Regierung, zumal fast alle Minister Schriftsteller waren und viele bei mir im Verlags-Programm. Sergio bat mich, dieser Karl-Friedrich Zelter solle doch so schnell wie möglich nach Nicaragua kommen!
Im Gepäck hatte Herr Zelter sehr pragmatische (und auch unrealistische) Vorschläge, wie das Land schnell voran kommen und günstig z. B. Maschinen erwerben könnte, für die Herstellung von kandierten Früchten aus Tropenfrüchten, Fruchtgetränken und vieles mehr. Die Regierung sorgte dafür, daß Zelter in Nicaragua sachkundige Begleiter bekam. Er reiste durchs Land, schließlich auch auf die Solentiname-Inseln (der geistigen Heimat des Priesters und Dichters Ernesto Cardenal, der ihn auch in seinem Haus in Managua beherbergte) und lernte die Probleme des Landes kennen.
Es läßt sich heute nicht mehr so leicht feststellen, welche Spuren seine zwei oder drei Besuche hinterlassen haben; ich bin aber sicher, es sind nicht wenige. Er war von unerschöpflichem Einfallsreichtum und übernahm in Nicaragua zeitweise die Rolle eines Regierungsberaters. Nach jeder Reise trafen wir uns, denn jede provozierte seine schier unerschöpfliche Phantasie, seine Kreativität. Nicht immer konnte ich ihm folgen. Als er zum Beispiel anmerkte „Nicaragua muß alle Autoreifen teuer importieren. Die Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand. Warum werden die Straßen nicht in Ordnung gebracht? Dann spart man die Hälfte der Reifenimporte!“, mußte ich ihm recht geben, ihn aber darauf hinweisen, daß es sich nur um eins von sehr vielen Problemen handele – und das Land inzwischen in einem fürchterlichen Krieg steckte. Er knüpfte auch wunderbare Netzwerke. An alle Einzelheiten erinnere ich mich nicht mehr genau, aber es ging um den Fang und Verkauf von Langusten an der Atlantikküste. Er hatte pragmatisch alles im Blick: Kauf und Finanzierung der Fangboote als Dreieckes-Geschäft, Ausbildung guter Fischer, Systeme der Kühlhäuser, Export nach Europa und den USA.
Über Nicaragua kam vermutlich auch der Kontakt zu Kolumbien zustande, da ging es um den Traktor aus ausrangierten Teilen alter Autos, der in Nicaragua schon den Markennamen „Nica-Truck“ bekommen hatte.
 
Karl-Friedrich Zelter (24.1.1924 bis 02.Juli 2013)  - tatsächlich ein Nachfahre des Musikers und Freundes von Goethe - wollte die Welt besser machen, daran hatte ich nie Zweifel. Ein kluger, phantasievoller und leidenschaftlicher Mann! Ein großer Kommunikator und Netzwerker. Auch später rief er mich regelmäßig an, um zu fragen, wie es mir inzwischen ergangen sei, und wie es unseren Freunden in Nicaragua ginge.
Für Menschen in seiner Nähe war er wohl nicht immer leicht zu ertragen. Er hatte eine rastlose Phantasie – und ein großes Herz. In diesem Sommer ist er gestorben.
 
Hermann Schulz