Das Ich und der Kosmos

Rede zur Verleihung des Nieheimer Schuhu 2013 an Wiglaf Droste

von Fritz Eckenga

Fritz Eckenga - Foto © Frank Becker
Das Ich und der Kosmos
 
Rede zur Verleihung des
Nieheimer Schuhu 2013
an Wiglaf Droste

von Fritz Eckenga
 
 
Als Wiglaf Droste und ich vor kurzem telefonisch die Weltlage erörterten, profitierten wir mal wieder von unserer großen internationalen Erfahrung. Es war später Vormittag und wir übersprangen souverän alles, was morgens von professionellen Wichtigtuern in die Medien-Welt gerührt worden war. Wiglaf hatte dazu vor längerer Zeit bereits das Nötigste mitgeteilt. Ich zitiere:
 
„Politik und Medien verkleben in Sache und Rhetorik zu einem nicht mehr in seine einzelnen Bestandteile zerlegbaren Ganzen. Man kann auch Brei dazu sagen.“
 
Wir hatten zwar Zeit, aber doch nicht für sowas. Besser sofort zur Sache kommen und direkt über innere Angelegenheiten sprechen.
 
Wiglaf hatte sich gerade von einem schwäbischen Orthopäden das zweite Knie renovieren lassen. Das erste war schon vor ein paar Jahren vom selben Operateur auf Vordermann gebracht worden. Damals ging es mit der Rehabilitation des Patienten noch recht flott, diesmal – so klagte der Frischoperierte – würde es wohl etwas länger dauern. Manchmal sei es schon wieder ganz gut, manchmal aber auch noch ganz schön aua. Längeres Sitzen gehe prima, das anschließende Aufstehen aber verursache eine gewisse Pein. Längeres Gehen gehe dann gar nicht. Längeres Liegen sei auf Dauer auch keine Lösung, da das ja doch zwangsläufig irgendwann in Aufstehen und Gehen münden müsse und dann zwicke und zwacke es ungut in der Kniekehle und hach – ach ja – er wolle ja nicht jammern, aber da sei jetzt wohl Geduld gefragt.
Da könne ich ihm nur zustimmen, stimmte ich ihm zu und referierte in heilender Absicht über die eigene Meniskus-Riss-Vergangenheit, über Knorpelglättung, über lindernde Lymphdrainagen und über behutsamen Muskelaufbau. Ich schloß meinen Vortrag mit der Mahnung: „Laß langsam geh’n, jetzt bloß nix übers Knie brechen!“
 
Wiglaf nahm den Appell freudig auf. Kein Wunder, denn der Spruch war selbstverständlich gebührenpflichtig und die Kalauer-Kasse, in die ich nun einzuzahlen hätte, damit um fünf Euro voller. Vor einigen Jahren legte der Preisträger des Peter-Hille-Literaturpreises Nieheimer Schuhu 2013 diese Kasse an, um, wie er schreibt „endlich einmal auf den berühmten grünen Zweig zu kommen.“
Zu der Zeit wußte er ja noch nicht, daß er 2013 den berühmten, mit 5.000 Euro dotierten Peter-Hille-Literaturpreis Nieheimer Schuhu erhalten und damit für immer aller wirtschaftlichen Probleme bar auf einem stabilen, sattgrünen Stamm sitzen würde.
Damals erläuterte Droste sein langfristiges Finanzierungskonzept deswegen noch so:
 
„Da man sich laut Harry Rowohlt dereinst für jeden Kalauer verantworten muß, für den man sich zu schade war, kalauerte ich hemmungslos, und so kam in erstaunlich kurzer Zeit eine erfreulich große Summe zusammen. Um mich nun nicht selbst auszurauben und um die Früchte meines Kalauerwerks zu bringen, vertraute ich meine prall gefüllte Kalauerkasse einer mir näher bekannten Dame an. Als ich diese nach einer längeren Reise aufsuchen wollte, war sie mitsamt der Kasse verschwunden. Nachforschungen ergaben, daß sie den Betrag in eine Ausbildung zur Hypnotiseurin investiert hatte. Um doch noch mein Glück zu machen, eröffnete ich rasch ein neues Kalauerkonto. Das Konto heißt Hypnotenuse, auf Deutsch: Vive la Trance!“
 
Das war ein kurzer Auszug aus dem Text, den Wiglaf Droste anläßlich des Welthypnosetages schrieb, den die Welthypnose-Lobbyisten am 4. Januar begehen und der, nebenbei bemerkt, auch der Namenstag der Bundeskanzlerin ist. Darüber verliert Droste selbstverständlich kein Wort. Warum auch? Erstens hat er wichtigere Schmerzen, zweitens ist die Frau evangelisch und drittens Droste nicht beim Kabarett.
Ob es die Drostesche Kalauer-Kasse wirklich gibt, ist übrigens nicht von Belang. Gäbe es sie aber – und hätten wir beide immer ordnungsgemäß entrichtet – sie wäre übervoll. Wiglaf und ich kennen uns seit rund dreißig Jahren. Eine Tatsache, die den vom Knieweh geplagten am Telefon zur Aussage trieb: „Fritz, wir sind richtig alte Säcke geworden.“
 
Dies ist zwar die Lobrede auf den Preisträger des Peter-Hille-Literaturpreises, des Nieheimer Schuhu 2013, aber an dieser Stelle muß ich zwischendurch unbedingt mal eben die Preisstifterin, die Peter-Hille-Gesellschaft, loben. Es kann im Sinne des wehleidenden Preisträgers keinen passenderen Ort für die Verleihung geben als das Sackmuseum in Nieheim. („Die Welt der alten und neuen Säcke.“) Vor allem aber muß die Hille-Gesellschaft gelobt werden für ihre ausgezeichnete Wahl des Preisträgers.
Wiglaf Droste darf „alter Sack“ zu mir sagen. Und zwar ohne, daß es danach zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt. Persönliche Nähe – eigentlich keine gute Voraussetzung für eine Laudatio, mit der der Lobredner ja vor allem die Preiswürdigkeit des Preisträgers beglaubigen und begründen soll. Dazu wäre nach herkömmlichen Maßstäben etwas mehr Abstand nützlich. Die Qualität der Arbeit Wiglaf Drostes, sein literarisches Werk, in bisher rund 40 Büchern, CDs und Hörbüchern veröffentlicht, seine langjährige Arbeit als Mitherausgeber der kulinarischen Kampfschrift >Häuptling Eigener Herd<, als Kolumnist, derzeit für die Tageszeitung Junge Welt und für Folio, dem Magazin der Neuen Züricher Zeitung, seine regelmäßigen Auftritte als Tournee-Reisender, als, wie er selbst sagt „Nomade im Speck“, als Vortragender seiner Texte, als Sänger, als Rundfunk- und Hörbuchsprecher, all das muß ja, unhabhängig davon, ob man dem Künstler persönlich nahe ist, für gut befunden werden können. Das kann es. Und das ist es auch längst: Vom Publikum, von ernstzunehmenden Kritikern, von Jurys, die Literatur-Preise vergeben. Heute von der Peter-Hille-Gesellschaft.
 
Und ich wäre auch Fan von Wiglaf Droste, wenn ich ihn nicht persönlich kennengelernt hätte.
Er begeistert mich vor allem damit, daß er schwafelfrei zur Sache kommt. Er eiert nicht rum, schreibt auf den Punkt, macht mir seine Gedanken klar, ist also verständlich. Seine Texte sind nie zu lang, höchstens zu kurz. Wenn, dann liegt es meistens daran, daß in der Zeitung, in der sie zuerst veröffentlicht werden, nicht genug Platz ist. Dann muß man solange warten, bis sein neues Buch kommt. In dem steht dann die ungekürzte Fassung. Das neueste Buch ist übrigens gerade in der Berliner Edition Tiamat erschienen und heißt „Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv“.
Wiglafs Drostes Texte sind für mich auch deswegen beste Unterhaltung, weil in ihnen das Notwendige in schöner und phantasievoller, niemals kitschiger Sprache gesagt wird.
Ja, es gibt reichlich Grund zur Klage und eigentlich keinen, nicht schwarz zu sehen. Ja, gegen die Dummheit ist so gut wie kein Kraut gewachsen. Ja, der allgegenwärtige Lärm der Schwafler und Wichtigtuer ist unerträglich. Aber der klügere - Droste - gibt nicht nach, sondern wehrt sich, intelligent, leidenschaftlich, humorsatt, poetisch.

Wiglaf Droste - Foto © Frank Becker
 
Das Leben aber ist doch nichts
für Händefalter und für Seitenscheitelkämmer
Denn dieses sind die Lehren aus der
Magnum von Mike Hammer:
Die andre Wange jesusmäßig hinhalten
ist Quatsch mit Soße
In seine Feinde soll man Löcher machen,
und zwar große.
 
Wiglaf sagt selbst, daß es vor allem Notwehr in eigener Sache ist, wenn er gegen die Lärmbolde, Angeber und Schaumacher anschreibt.
Dabei erfindet er übrigens dauernd neue, ganz wunderbar treffende Wörter. Zu meinen Lieblingen gehören „Hochnasibert“ und „Herrenpimpel“. Droste schreibt, „Wie sollte man das Leben anders aushalten, als wenn man es sich als Komödie einrichtet“ und führt weiter aus, daß es seinen Eigen-Schmerz lindere, wenn er seinen Peinigern mit Humor begegne – und, das füge ich jetzt hinzu, wenn er sie sich auf hohem, ihnen eigentlich also gar nicht angemessenen Niveau zur Brust nimmt.
 
Kleines Beispiel gefällig? Zu einer der zahlreichen literarischen Spitzenleistungen des Preisträgers zählt meines Erachtens die Ausarbeitung eines kompletten Persönlichkeitsprofils des Außenministers dieses Landes. Wie gesagt: komplett und so ausführlich wie nötig, also in drei Zeilen:
 
Die Libido von Guiguido:
Alles, was er hatte
war Krawatte
 
Sie merken jetzt vielleicht selbst, daß das, was sich Wiglaf Droste als Schmerztherapie schriftlich selbst verschreibt, auch bei ihnen wirkt. Die gute Nachricht ist: Der Langzeit-Effekt bei Einnahme der Medizin aus Dr. Drostes Hausapotheke ist nicht Betäubung – sondern Belebung.
 
Der Nieheimer Schuhu ehrt Autoren, die in Westfalen geboren wurden, die in Westfalen leben oder deren Werk einen besonderen Bezug zu Westfalen aufweist. Der diesjährige Preisträger erfüllt sogar zwei dieser Kriterien. Er wurde in Herford geboren und hat sich intensiv mit Heimatdichtung auseinandergesetzt. So intensiv sogar, daß er einem seiner zentralen Werke diesen Titel verliehen hat:
 
Heimat
 
Schön ist die Heimat
So man sie hat
Schön auch der Hering
Besonders der Brat
 
Falls da noch jemand Interpretationsbedarf hat, möchte ich ihm diesen Satz Wiglaf Drostes zu denken geben: „Ironie ist nicht billig. Sie ist ein Indiz für Zivilisation.“
Wiglafs Heimat ist die Sprache. Vielleicht kannst du selbst gleich etwas ausführlicher darauf eingehen. Ich schätze, in deinem Text >Tünseliges Ostwestfalen< werden die grundlegenden Dinge dazu gesagt.
 
Lieber Wiglaf, der Peter-Hille-Preis hat eine lange Tradition. Trotzdem sind sämtliche bisherigen Preisträger heute anwesend. Ich habe schon mit allen gesprochen. Sie sind sich alle einig. Alle beide, Erwin Grosche und Fritz Eckenga, freuen sich sehr, daß du ihr Nachfolger bist. Wir finden, der Preis hat schon wieder haargenau den Richtigen getroffen.


v.l.: Erwin Grosche, Wiglaf Droste, Fritz Eckenga - Foto © Frank Becker
 
Bevor du uns und allen anderen jetzt gleich etwas vorliest, möchte ich mich nochmal kurz bei dir bedienen. Ich hoffe sehr, daß dein jetziger Gemütszustand dem nahekommt, den du als junger Sack, nämlich vor fast 30 Jahren in einem deiner schönsten Gedichte beschrieben hast.
 
Das Ich und der Kosmos
 
Am Himmel stehen die Sterne
Sie leuchten nur für mich
Sie haben mich auch noch gerne
Ich glaube, die sind nicht ganz dicht
 
Herzlichen Glückwunsch!
 
Nieheim, 13.09.2013
Fritz Eckenga