5. Harbourfront Festival vom ersten bis zum letzen Tag

Norddeutsche Notizen per Librette

von Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Weychardt
5. Harbourfront Festival
vom ersten bis zum letzen Tag

Norddeutsche Notizen per Librette
von Andreas Greve
 
Kein Taxifahrer in Hamburg kennt den KLU. Auch nicht The KLU. Kein Wunder, ist es doch eine niegelnagelneue Tasche an den Spendierhosen des Hamburg-Schweizers Klaus-Michael Kühne. KLU heißt: Kühne Logistic University. Es ist die einzige Speditions-Uni im großen Heuhaufen Welt (und vielleicht deshalb schwer zu finden).
Milliardär Kühne, Mehrheitsaktionär des globalen Logistik-Konzerns „Kühne und Nagel“, hat neben seinen Lieblingsgerichten Geld und Zahlen und seinem Hobby Fußball (in Form des HSV / Sieger im Spiel „Vang den Vaart“), etwas für Kultur über und eine Leidenschaft für Bücher - seit fünf Jahren in Form des Literaturfestivals „Harbourfront“ in Hamburg - oder wie er kühn behauptete: in der Hafen-City. Jedenfalls fand die Eröffnung fast bei ihm statt, direkt neben seinem Hauptsitz, im gerade noch fertig gewordenen Auditorium Minimum der KLU. Ein schöner Raum mit Luken gen Elbphilharmonie und Sonnenuntergang. Senatoren, Honoratioren, Juroren, Autoren, Sponsoren - und irgendwelche Medien.
 
Auch Wolf Biermann auf einer der hinteren Bänke. Er soll mit Gesang und seiner Frau Pamela den

KLU mit Librette - Foto © Andreas Greve
Reigen der zahllosen Veranstaltungen qua Abschlußgala am 21. beschließen. Als Kapitalist Kühne – nach einer als Rede getarnten endlosen Reihe von Zahlen und Stiftungen, die teils „in der Schweiz domizilieren“, endlich bei der Gala angekommen war, hieß er seinen Klassenfeind Biermann „Wo ist er? – Steh mal auf!“ sich kurz zu erheben und gleich wieder Platz zu nehmen. Der große Mäzen zum kleinen Wolf: „Setzen!“ Der Hintergrund: Beide sind zusammen (über 150 Jahre alt) zur Schule gegangen. Damals erklärte Feinde.
Am nächsten Tage, auf der Librette unterwegs, traf ich in Altona den einst roten Barden, als er das Hündchen seiner Tochter Gassi führte, und fragte Biermann, ob die besagte Szene nicht etwas zu hausherrisch gewesen sei. „Nö“, sagte der. Altersmilde? Biermann erzählte mir dann, wie es damals in der feinen Heinrich-Hertz-Schule zugegangen sei. Er war der ärmste und schlechteste Schüler, Kühn der reichste und damals (wie heute) doppelt so groß. Trotzdem hätte er dem, wenn bei hitzigen politischen Diskussionen die Argumente ausgingen, mühelos „die Fresse poliert“. Das war eine einfache Sache für einen Proleten wie ihn. Nach einem längeren Exkurs über Schulversagen und dessen glückliche Ende durch das Einwandern des 16jährigen in die DDR, holte Biermann ein Stück Papier mit dem Programm des Gala-Abends aus der Tasche. Unter der „Ode an die Elbe“ stand: „gewidmet meinem hanseatischen Klassenfeindfreund K.M.K.“ – das feindfreund handschriftlich durchgestrichen und drübergeschrieben „kamerad“. Ich schenkte Biermann meinen Gedichtband und bekam dieses Vorab-Faksimile mit „Mein Hamburg lieb ich immer noch“. Ein guter Tausch: 100 gebundene Seiten Andreas Greve gegen eine Fotokopie von Wolf Biermann. Ich mochte schon immer den Hans-im-Glück-Wechselkurs.


Librette mit den Werken von Greve und Arezu - Foto © Andreas Greve
 
Nach einem kurzen Boxenstop zuhause, sauste gleich wieder los gen St. Pauli, um mich vor der Kirche gleichen Namens zu postieren, in der ein Abend mit Arezu Weitholz stattfinden sollte, die seit einigen Jahren mit Fischgedichten durch die Republik tourt. Ihr schwarzes Büchlein lag gerne mal direkt neben der Kasse von inhabergeführten Buchhandlungen. Sie hat mit Grönemeyer Texte gemacht oder für ihn lektoriert; auch für Lindenberg und die Toten Hosen. Arezu scheint – auch als ehemalige Journalistin – sehr gut vernetzt. Beim Rauchen vorm Gotteshaus zeigt sich zudem, daß Sie sehr freundlich, direkt und unkompliziert ist. Ihr mittlerweile dritter fischiger Band ist nun bei Kunstmann erschienen, blaues Leinen, Prägedruck, kleines Format, gut ausgestattet und von Arezu Weitholz mit eigenen, ja, sehr eigenen Zeichnungen bestückt. Sozusagen eine hübsche Beilage zum Hauptgang: „Ein Fisch wird kommen“. Ich zitiere die erste Strophe aus:

Arezu Weitholz - Foto © Andreas Greve
 
An den Wesslinger See:
 
Still und blank, so ruht er,
zwischen Weiden, Steg und Kies.
Leise rauscht Berufsverkehr,
Badehäuser standen schief.“
 
Wie man vielleicht weiß, nehmen es Songtexter mit unreimen Reimen nicht so ernst. Zu recht, denn das verschleift sich schnell im Gesang.
Im Untertitel wird die Mischung des Büchleins erklärt: „Kleine Fischkunde mit Gedichten“ und das bedeutet: auch Fließtext, ja, fast wissenschaftliche Prosa z. B. über den „Haare Fishna – Religiöser Schwarm, der im Kratersee des Vulkans Mazama gegründet wurde und nun in den seichten Gewässern des Bundesstaates Oregon lebt. … Sie haben rote Schuppen, die im Alter ins Orange ausbleichen, ernähren sich von Plankton, Hirse und singen gern.“ Und in meinem steht nun obendrein seit Freitag „Ahoi! Arezu“, passend zu den Elbseglern, mit der die Künstlerin und ihre zwei Beisitzer halblinks vorm Altar der derzeitigen Asyl-Kirche ihre Show verfeinerten – auch sie sangen übrigens gern.
Zur gleichen Zeit lief einen Block weiter, in einem Hinterhof hinter der Hafenstraße, die erste Staffel des Talent-Wettbewerbs für Jungautoren für den Klaus-Michael-Kühne-Debütanten-Preis, die ich folglich verpaßte, wenngleich der neue Kult(ur)ort „Nochtspeicher“ in der Bernhard-Nocht-Straße retrostilistisch perfekt mit der Librette matcht. Ich werde das aber Ende des Monats nachholen und zwar mit einem Interview mit den beiden Aktivistinnen für Literarisches in diesem Kultur-Konstrukt am Rande des Vergnügungsviertels, also mit Veranstalterin Friederike Moldenhauer und der Schriftstellerin und Dampf-Hanseatin in allen literarischen Gassen und Gattungen Tina Uebel.


Foto © Andreas Greve
 
www.harbourfront-hamburg.com ist ein überaus vielfältiges Festival – von der lokalen Szene aber nicht nur begrüßt, denn immerhin drainiert es den Kulturhaushalt der Stadt um satte 100.000 Euro, trotz des finanziellen Engagements des Herrn Kannitverstaan alias Kühne. Das Programm ist besser als letztes Jahr, scheint mir. Aber es wäre einem armen Literaten faktisch unmöglich viel davon mitzuerleben, da es jedes Mal minimum 10 Euro Eintritt kostet, also geschätzte 100 Euro für eine Woche – und dann hat man noch nicht einmal die Bücher - im Gegensatz zu Kühne: Der bekam aus Anlaß des fünfjährigen Jubiläums alle bisherigen Bände aller Autoren der vergangenen Jahre geschenkt, ein beachtlicher Bücherberg auf der KLU-Bühne – seiner Bühne. Zugegeben: Den geschenkten Berg hat er teuer bezahlt.
 
Apropos Bühne: Zufälligerweise werde ich am Mittag des letzten Festival-Tages, einem Samstag,
mit meinem lyrischen Lastenrad Librette vor der Buchhandlung Cohen + Dobernigg stehen und völlig honorarfrei aus dem „Dichter am Abgrund lesen“. Der Eintritt ist frei. Das Foto zu diesem sonnigen Samstag, d. 21.9., hier als Vorwegnahme eines geglückten Tages: https://www.facebook.com/events/201085186723726/
Das hellblaue Büchlein ist nicht nur bei www.codobuch.de für 10 € zu erwerben, sondern in jeder Buchhandlung der Republik. Nur am Fahrrad allerdings wird auch umgehend signiert.
 
Andreas Greve – „Dichter am Abgrund“ Gedichte, Lieder und zwei Geschichten
© 2013 Hinz & Kunst, 99 S., gebunden, Umschlagzeichnung von Til Mette - ISBN: 978-3-922618-32-4 - € 10,00, 14,90 sFr, 10,30 € (A)
 
P.S.: Wenn alle Bücher verkauft sind, gehe ich schön Fisch essen und danach schaue ich im Museum für Hamburgische Geschichte, wie es für Biermann und seine Liebe zu Hammonia und Pamela so läuft. Kühne Pläne, was?