Erst im Kuß der alte Stolz

Wuppertals Intendant Christian von Treskow inszeniert Maria Stuart

von Martin Hagemeyer

Hanna Werth - Foto © Uwe Stratmann

Erst im Kuß der alte Stolz
 
Maria Stuart. Trauerspiel von Friedrich Schiller.
 
Wuppertals Intendant Christian von Treskow inszeniert noch einmal einen Klassiker
 
Inszenierung: Christian von Treskow - Bühne und Kostüme: Dorien Thomsen - Video: Filmproduktion Siegersbusch – Musik: Bastian Wegner – Dramaturgie: Sven Kleine – Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: Elisabeth, Königin von England: Juliane Pempelfort – Maria, Königin von Schottland: Hanna Werth – Hanna Kennedy, ihre Amme: Anne-Catherine Studer – Melvil, ihr Haushofmeister: Markus Haase – Robert Dudley, Graf von Leicester: Marco Wohlwend – Georg Talbot, Graf von Shrewsbury: Andreas Ramstein – Wilhelm Cecil, Baron von Burleigh: Bernhard Majcen – Wilhelm Davison,  Staatssekretär: Jakob Walser – Amias Paulet, Hüter der Maria: Jochen Langner – Mortimer, sein Neffe: Heisam Abbas – Graf Aubespine, französischer Gesandter: Jakob Walser.
 
 
Christian von Treskow hat sich 2007 mit einem Groß-Klassiker dem Wuppertaler Publikum und ebenso dem Haus vorgestellt: Goethes „Urfaust“; kurz darauf wurde er Intendant. Nun endet bald seine Ära, und zur letzten Spielzeit inszeniert er einen weiteren Groß-Klassiker: Schillers „Maria Stuart“. Weit treiben muß man den Vergleich nicht - nur so viel: Manch anderer hätte zum Einstand „Werktreue“ gewählt und sich kontroversere Regiearbeiten für später aufgespart. Hier ist es wohl umgekehrt. Aber Christian von Treskow war auch nie Diplomat.
Sorgten moderne Mittel wie die englischen Rock-Versionen von Goethe-Passagen damals für einige Skepsis, so ist das diesmal kaum zu befürchten. Zwar begleitet auch heute ein Mann mit Gitarre das Stück - doch spielt und singt er keine Schiller-Übersetzungen. Zudem ist Markus Haase nur lose in die Handlung eingebunden (und entpuppt sich als Marias Prediger erst ganz am Ende) – wirkt dadurch allerdings auch nicht so interessant wie Mephisto als nonchalant zupfender (Menschen-)Spieler. Insgesamt wird heute Abend jedenfalls durchaus klassisch inszeniert und gespielt.


v.l.: Anne-Catherine Studer, Hanna Werth - Foto © Uwe Stratmann
 
Stichwort Figurengestaltung: Man darf wohl sagen, daß die Regie in dem großen Konflikt zwischen Elisabeth, Königin von England, und Maria, Königin von Schottland in deren Gewalt, die Sympathien klar verteilt – und dieser Eindruck kommt ja auch bei Schillers Vorlage auf: Juliane Pempelfort gibt eine gegenüber ihrer Gefangenen sichtlich unterlegene Machthaberin. Mit Gesten der Unbeherrschtheit, die zuweilen ans Komische grenzen – mit beleidigt verschränkten Armen oder rutschend die Bühne herab, auf der Dorien Thomsen ein regelrechtes Szenario mit Hanglage errichtet hat. Effektiv die auf ansonsten leerer Bühne durch Videoprojektionen geschaffenen Illusionen von Verlies, Kuppelsaal und Park.
Am Ende hat Elisabeth die Rivalin hingerichtet, ohne sich recht dazu zu bekennen. Etwas schwierig wird es übrigens durch alldies, der Königin doch noch ihre finale Tragik abzunehmen, nachdem ihre Getreuen sich abwenden – allen voran Graf Leicester; er ist bekanntlich „zu Schiff nach Frankreich“. Hanna Werth ist in scharfem Kontrast dazu ganz die stolze Titelfigur, die sich überlegen weiß und aus ihrer hilflosen Lage große Auftritte zieht.
 
Und die dramatischen Höhepunkte sind heute Abend so stark gespielt wie textnah: Sir Mortimer (Heisam Abbas) als Maria-Fan mit allen Gefahren eines Fan-atikers) hat sie zum Zusammentreffen mit der Schottin in den Park gelockt. Doch statt ihre Chance zur Demut zu nutzen, zieht Maria eine andere Chance vor: die zum langersehnten „Augenblick der Rache, des Triumphs“. Sprachlos muß Pempelfort sich von ihrer Gefangenen „Bastard“ und Thronräuberin nennen lassen.


vorne v.l.: Hanna Werth, Juliane Pempelfort - Foto © Uwe Stratmann

Dieser Stolz, er gehört ja schon bei Schiller ganz eng zur Titelgestalt. Aber Regiekunst bewährt sich eben auch da, wo sie mit eigenen Mitteln einer Figur nahekommt. Nachdem Maria sich selbst aller Aussicht auf Gnade beraubt hat, scheint Hanna Werth erst eine andere: Hell ist nun ihr Kleid, still hockt sie allein mit ihrer Amme Hanna Kennedy (stark: Anne-Catherine Studer) erlaubt ihr der Triumph die späte Ruhe, oder eher der sichere Tod? Doch dann gönnt die Inszenierung Maria doch noch ihren Abgang im Stolz: Dem Grafen Leicester (Marco Wohlwend), dem bis zum Schluß unentschlossenen Feigling, preßt sie abrupt einen Kuß auf die Lippen, wie man einen höhnischeren überhaupt noch nie gesehen hat.
So kurz und kraß kann man einem Klassiker auch gerecht werden. Es ist einer der eigensinnigen Momente eines Abends, der ansonsten dem Text und seiner Kraft vertraut. Sinnlos provoziert und „Generationen verschreckt“ hat dieser Regisseur allerdings auch früher nie – trotz allem, was zuletzt über ihn gesagt worden ist.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de  
 
Redaktion: Frank Becker