Gut sein wollen – fast zum Anfassen

Im Osnabrücker „Zimmertheater“ glückt Ingrid Lausunds unkorrektes Stück „Benefiz“

von Martin Hagemeyer


Gut sein wollen – fast zum Anfassen
 
Im Osnabrücker „Zimmertheater“ glückt das unkorrekte Stück „Benefiz
 
(Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner.
Eine schwarze Komödie von Ingrid Lausund)
 
 
Regie: Ralf Erdmann - Besetzung: Christine: Doerthe Blömer – Eva: Gerlinde Hegerfeld – Eckhart: Christian Bachmann – Leo: André Horstmann – Rainer: Frank Milius.
 
Parade aufrichtiger Gutmenschen
 
Das Stück von Ingrid Lausund trägt den Untertitel „Eine schwarze Komödie“, und diese Gattungsbezeichnung wäre harmlos, wenn der eigentliche Titel „Jeder rettet einen Chinesen“ hieße, „ein Kind“ oder auch „einen Regenwaldbaum“. Er lautet aber „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“; und das leichte Unbehagen bei derlei Humor ist typisch für die ganze Inszenierung von Ralf Erdmann – an diesem Ort mit dem umständlichen Namen „Erstes unordentliches Zimmertheater“ in Osnabrück.
 
Man könnte die Geschichte um fünf Akteure einer Afrika-Benefiz-Show auch „Gesellschaftskomödie“ nennen – und zwar in demselben Sinn, in dem das auch zu modernen Stücken etwa der französischen Erfolgsautorin Yasmina Reza paßt: Gesprächstheater um soziale Prozesse, die zu komischen Entgleisungen führen, samt Machtspielen und wechselnden Allianzen unter den typisierten Figuren.
Reza war in Osnabrück am Stadttheater mit ihren beliebten Werken („Dreimal Leben“, „Der Gott des Gemetzels“) schon im Programm. Vielleicht ist es aber ganz gut, daß „Benefiz“, Ingrid Lausunds Stück über die Tücken der Political Correctness, stattdessen im „Unordentlichen Zimmertheater“ gespielt wird. Das winzige Haus einer Amateurtruppe mit 45 Sitzplätzen findet sich versteckt in einem Hinterhof am Rande der Innenstadt, und im Café fünf Minuten entfernt hat die Kellnerin noch nie von seiner Existenz gehört.
Unter Theaterkennern ist es in der Stadt trotzdem ein Begriff. Und vielleicht ist auf größeren Bühnen die Versuchung größer, sich kultiviert zu delektieren an dieser Parade aufrichtiger Gutmenschen.
 
Klirrend gesprengte Grundharmonie
 
Als da wären: Der zynische Kopfmensch, die Alternative mit didaktischer Ader, der Junge mit dem Herz am rechten Fleck, der friedensbewegte Überzeugungstäter, die „auch sozial engagierte“ Künstlerin. Sie alle wollen Geld sammeln für eine Schule im westafrikanischen Guinea-Bissau, und wir erleben sie bei den Proben für einen Benefiz-Abend. Eigentlich erleben wir aber etwas anderes, viel Grundsätzlicheres. Nämlich: wie destruktiv es sein kann, auf eigenen Denkmustern zu beharren.
Der eine schlägt eine befreundete Farbige als weitere Teilnehmerin vor, um alles „authentischer“ zu machen, die zweite wittert da kolonialistische Vorführmentalität: „Ich find’s ganz schlimm. Ganz schlimm.“ Fragen über Fragen, die man sich lieber nie gestellt hätte, sprengen klirrend die Grundharmonie: Ist als Nutznießer der Spenden ein Mädchen ohne Arme besser als ein Junge ohne Eltern? Oder sollte man die Summe lieber zweiteilen, weil davon zwar keiner lernen kann, aber dafür zwei leben?
 
Böse ist Lausunds Humor, ja; aber er ist es deshalb, weil er Rede- und Denkkonventionen brüsk ignoriert. Rein negativ bis billig müßte man solch unkorrekten Spaß wohl nennen, wenn er Selbstzweck wäre. Im „Unordentlichen Zimmertheater“ jedenfalls ist er das nicht: Im großartigen Spiel der fünf Darsteller ist jeder ein bißchen lächerlich in seinem Eigensinn, aber praktisch jeder hat im Verlauf des Abends auch mindestens einmal einen großen Auftritt, in dem er oder sie komplett überzeugend erscheint. Ist es pervers, Menschen mit Cocktails zu vergleichen, wie der bis dahin diplomatische Eckhart meint (Christian Bachmann mit dem überraschendsten Ausbruch des Abends)? Oder ist es gerade ein hilfreicher Vergleich von Rainer (Frank Milius), daß so viele lieber für Cocktails Geld ausgeben als für Menschen?
– Wir müssen das alles gar nicht entscheiden. Und genau darum geht es.
 
Fünfmal helfen
 
„Politically incorrect“ zu sein, ist für manchen Publizisten oder Komiker betrübliches Hauptgeschäft. Unkorrektheit á la „Benefiz“ hingegen denunziert nicht den guten Willen – sondern vielmehr unser Reflexdenken. Der Beweis steht am Ausgang: Eine Spendendose bittet nach der Vorstellung unausweichlich um Geld für Guinea-Bissau; so verlangt es die Autorin, die schon mit ihrem Geniestreich „Der Weg zum Glück“ ihren außerordentlichen Witz gezeigt hat (2012 aus Berlin auch zu Gast beim Duisburger Theatertreffen).
Und daß dieser listige Kniff funktioniert: Dafür eben mag ein so intimer Rahmen wie das „Zimmertheater“ ein günstiger Ort sein, wo fünf Menschen fast zum Anfassen gut sein wollen und sich hautnah quälen damit, daß ihre fünf Hilfskonzepte einander zuweilen komplett ausschließen. Die Einnahmen im Hinterhoftheater, so hört man, kommen an die mancher Profi-Häuser heran, die Lausunds Stück im Spielplan hatten.
 
Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner. Eine schwarze Komödie von Ingrid Lausund.
 
Weitere Informationen unter www.zimmertheater-online.de.