Letzte Buch-Besprechungen 2013 - oder

„Wie weiß darf Weißbrot sein?“

von Andreas Greve
Letzte Buch-Besprechungen 2013
oder
„Wie weiß darf Weißbrot sein?“
 
von Andreas Greve


Free food, free drinks, free press - Korrespondent u. Künstler kaspern rum - v.l.: Andreas Greve, Javier Mayoral - Foto © Ina Mette 

Das Besprechen von Büchern ist nur in der Vorstellung schön: Sogar noch, wenn das Päckchen dann kommt und geöffnet wird. Der Rest ist häufig Kampf und keineswegs Vergnügen: Das Buch ganz zu lesen, es zu verstehen, es zu mögen und vor allem: darüber zu schreiben, wenn man es nicht mochte. Und dann gibt es Bücher, gegen die man nichts einzuwenden hat, außer: daß man sie nicht mal lesen mochte.
Mir ging es diesmal mit Jo Lendle so: „Was wir Leben nennen“ heißt der Roman des neuen Hanser-Chefs. „Was wir heute so Roman nennen“, würde ich sagen, muß mich dabei aber so stark auf Vermutungen über Ungelesenes stützen, daß ich lieber die Aussage verweigere. Natürlich wollte ich gerne wissen, wie der Nachfolger von Verleger-Legende Michael Krüger so schreibt und über was. Krüger schrieb jeden Morgen für sich – das tut auch sein Nachfolger. Da hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf; bzw. ist Lendle im positivsten Fall ein Michael Krüger light – also genau die richtige Antwort auf die abnehmenden literarischen Herausforderungen dieses Jahrhunderts.

Jo Lendle – „Was wir Liebe nennen“ (Roman)
2013 DVA, 248 Seiten, Hardcover, 19,99 €
 
Da habe ich doch viel lieber eine gar nicht mal so brillant geschriebene Biographie gelesen – die allerdings eine schillernde Ausnahme-Figur des angehenden letzten Jahrhunderts beschreibt: Egon Friedell. Der Autor Bernhard Viel wählte als Untertitel „Der geniale Dilettant“. Das ist wohl kaum übertrieben. Ich kannte ihn weder als bunten Vogel, als Wiener Selbstdarsteller und wußte nicht einmal, daß er Schauspieler unter Max Reinhardt gewesen war – hatte ich ihm stets nur trockenste Seriösität unterstellt, da seine legendäre „Kulturgeschichte der Neuzeit“ im Bücherschrank meiner Eltern stand. Nein, Egon Friedell war vielmehr und alles, Kabarettist, Kritiker - und vor allem immer unter Slivovic. „Er war wie ein Ofen, der durch seinen Umfang unproportioniert im Raum wirkte (…) Er war 45 Jahre alt und sah aus wie ein mit Elephantiasis behafteter Gymnasiast.“ Dies als Zitat eines Zitats aus einem Roman Jakob Wassermanns.
Und 1928 stand zu seinem fünfzigsten Geburtstag in einer Zeitung: „Seine Aversion gegen Österreich läßt erkennen, daß er mit Leib und Seele Österreicher ist.“ Aber – so der Biograph am Ende dieses Kapitels „wirklich Neues, er ist fünfzig, wird von ihm wohl nicht mehr zu erwarten sein.“ Zehn Jahre später, als zwei SA-Männer vor seiner Wohnungstür stehen, springt Friedell aus dem Fenster. Tot.

Bernhard Viel – „Egon Friedell – Der geniale Dilettant“ (Sachbuch)
2013 C.H.Beck, 352 Seiten, Leinen, 24,95 € 
Weitere Informationen: www.chbeck.de/Viel-Egon-Friedell/
 
Nun das Buch, über das ich mich am meisten freute, als der Paketbote es brachte: Die ganze Hahn! Es war allerdings werbewirksam so verpackt, als sei es einerseits ein Geheimnis, das andrerseits sofort in die Welt posaunt werden sollte. Ich finde gerade ein Buch mit dem lyrischen Lebenswerk sollte nachgerade zögerlich genossen werden. Ulla Hahn ist ganz ohne Frage die Grande Dame der deutschen Lyrik, aber von einer fast untypischen Popularität. Sie schaffte mit ihren Gedichtbänden, was andere nicht einmal mit Romanen schaffen: riesige Auflagen. Das liegt nicht zuletzt an ihrem ausgewogenen Stil. Und manchmal sicher auch an den Themen.
Ulla Hahn verkauft sich nicht, verschenkt sich nicht, verbiegt sich nicht – Fortschritt und Tradition gehen bei ihr Hand in Hand (bitte den letzten halben Satz sofort streichen! Es wäre mir peinlich, wenn sie ihn je lesen sollte.) Was ich sagen wollte: Wenn man hier und da in die gut 800 Seiten reinliest, merkt man stets, wie sich Modernität, Solidität und gutes Handwerk zu einer eigenen Melodie verbinden… Kurz: Gibt es denn wohl Blöderes als so über Lyrik zu schreiben: Man sollte sie lesen!

Ulla Hahn - „Gesammelte Gedichte“ – (Lyrik)
2013 DVA, 880 Seiten, Leinen, 26,99 €
Weitere Informationen: www.randomhouse.de/
 
Mein Problemkind in dem Bücherstapel ist der französische Cartoonist Jean-Philippe Delhomme. Er hat gleich zwei Bücher gemacht, über die ich nicht lachen kann. Das erste über zeitgenössische Kunst und nun „Das Drama mit der Deko“. Schwierige Fälle gebe ich dann außer Haus, aber: Ich stand nicht alleine mit meiner unverlösten Rezeption. Lieber Liebeskind Verlag, bei aller Liebe: Das ist doch alles sehr vorhersehbar – ja, in etlichen Fällen doch schon längst beschrieben, bezeichnet oder bemalt! Im Klappentext wird MADAME zitiert: „Delhomme ist einer der brillantesten Cartoonisten unserer Zeit“. Das kann nicht stimmen, weil der Humor, die Komik oder Witz integrale Bestandteile von Cartoons bilden. Meine Hoffnung, wenigstens dem malerischen Schlenker der Bilder Gutes nach zu sagen, scheiterte ebenfalls am Einspruch meiner Ethik-Kommission. Tut mir echt leid, Monsieur - aber es liegt nicht am fehlenden Humor meinerseits. Vielleicht studieren Sie mal Til Mette oder Mayoral!

 Jean-Philippe Delhomme – „Das Drama mit der Deko“ - (Bildband)  
2013 Liebeskind, 94 Seiten
 
Jetzt begeben wir uns teils in den Huldigungsbereich und teils in die Hall of Fame: Til Mette wurde zum „Meister der komischen Kunst“ gekürt, qua Aufnahme in die gleichnamige Reihe im Kunstmann-Verlag. Die Auswahl des Herausgebers Fahrenberg ist seeehhrrr gut. Ohne Rücksicht auf bröckelnde Leserschaften (Stern) oder political correctness (Deutschland). Wenn man zudem statt des Vorwortes lieber das lange Interview hinten liest, erfährt man wirklich Wesentliches über den Beruf des Cartoonisten im Allgemeinen und über den „zeichnenden Journalisten“ Mette im Besonderen. Ein Standardwerk – auch in Relation zur Reihe der bisherigen Bücher und Bändchen des Stern-Cartoonisten (abgesehen von „Meine Welt“). Kaum mehr braucht man zu diesem bezahlbaren Glücksfall zu sagen, als daß er ein hellwacher, begnadeter Beobachter ist und: kein Cartoonist in Deutschland dichter am New Yorker ist als er.

PS: Aus Gründen der Transparenz möchte ich gerne bekennen, bei Freund Til sehr oft sehr gut bewirtet worden zu sein. Kochen kann er nämlich auch.


© Til Mette

„Meister der komischen Kunst – Til Mette – Herausgegeben von WP Fahrenberg
2013 Verlag Antje Kunstmann, 112 Seiten, Hardcover, 16,-  
Weitere Informationen: www.kunstmann.de/
 
Und nun ein kleiner Rollenwechsel: Til Mette wird zum Heraus- und Gastgeber, Javier Mayoral zum komischen Künstler und ich zum Fan und Gast im Garten (Foto oben). Außerdem kommt das Buch nicht per Post, sondern wird handsigniert und verziert überreicht. Die Geschichte, die sich um Mayoral, seine Biographie, seine Vertriebswege und seine Entdeckung durch Til Mette erst auf ebay und dann vor Ort in Miami rankt, ist schon schön genug und im Buch, in der taz, der FAZ oder ZEIT nachzulesen. (www.genios.de/presse-archiv/
Noch vergnüglicher ist, die schrägen Votivtafeln durchzugehen, zu bestaunen und zu belachen. Aber richtig Spaß macht auch der Meister selbst am Grilltisch bei seinem Deutschland-Promoter Til Mette. Da wurde nicht wenig gescherzt. Das nenne ich aktiven Humor – bei größter Liebenswürdigkeit. Man braucht nicht jedes seiner oft abstrusen, ja teils wirklich abgedrehten Bilder zu verstehen und auch nicht jeden Satz des Meisters Mayoral aus Madrid und nun Miami – but it is a lot of fun . Mittlerweile gehen seine Preise bei ebay* steil nach oben. Das Buch selbst läuft hingegen nicht wie geschmiert, aber dem Lappan Verlag steht die neue Reihe Lappan-Art gut Gesicht mit diesem aufwendig hergestellten Papp-Bilderbuch für Erwachsene. Ich frage Sie: „How white should white bread be?“


„Mayoral“ – Herausgegeben von Til Mette – 2013 Lappan Art, 128 Seiten, Karton, 20 €
Weitere Informationen: www.lappan.de/
 

Redaktion: Frank Becker