Die Künstler und der Krieg

Ausstellung „1914. Die Avantgarden im Kampf“ in der Bonner Bundeskunsthalle

von Rainer K. Wick

Corinth, Selbstbildnis im Harnisch - © Rainer K. Wick
Die Künstler und der Krieg
 
Ausstellung „1914. Die Avantgarden im Kampf“
in der Bonner Bundeskunsthalle
 
 
Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
 
Schon ein flüchtiger Blick in die TV-Programmzeitschriften zeigt, daß Sendungen über den Zweiten Weltkrieg zum täglichen Bestandteil unserer Erinnerungskultur geworden sind. Derartige Features, wie sie von Guido Knopp und anderen produziert und moderiert werden, überlagern massiv die mediale Beschäftigung mit einem weiter zurückliegenden Geschichtsereignis, nämlich mit dem Ersten Weltkrieg, der von Historikern als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ beschrieben wird. Aus Anlaß des Ausbruchs dieses großen Krieges vor fast 100 Jahren, im August 1914, erinnert schon jetzt eine breit angelegte Schau in der Bonner Bundeskunsthalle an Positionen und Tendenzen der Bildenden Kunst unter dem Eindruck des industrialisierten Tötens und massenhaften Sterbens – in einer Zeit des zugespitzten Nationalismus, des übersteigerten Patriotismus und ungezügelter imperialistischer Geltungsansprüche.
 
Es handelt sich nicht um die erste große Ausstellung zum Thema. Erinnert sei an die spektakuläre, von dem Kunstwissenschaftler Javier Arnaldo organisierte Schau „1914. La Vanguardia y la Gran Guerra“ (Die Avantgarde und der Große Krieg), die im Jahr 2008 im Museo
 
Frans Masareel, Debout les morts - Foto © Wick
Thyssen-Bornemisza und der Fundación Caja Madrid in der spanischen Hauptstadt stattfand. Die nun von Uwe M. Schneede, früher u.a. Leiter des Hamburger Kunstvereins, Professor für Kunstgeschichte in München und danach Direktor der Kunsthalle Hamburg, kuratierte Bonner Ausstellung mit dem Titel „1914. Die Avantgarden im Kampf“ fragt danach, wie progressive Künstler, die inzwischen längst der sog. Klassischen Moderne zugerechnet werden, auf die Kriegsereignisse reagierten. Sieht man von der erwähnten Ausstellung in Madrid ab, galt bisher das Hauptaugenmerk der Kunstgeschichte vor allem den künstlerischen Entwicklungen vor 1914 und dann wieder nach 1918, während die Kriegsjahre selbst weitgehend ausgeblendet blieben. In einem mit hochkarätigen Werken gespickten Parcours wird dem Besucher der Ausstellung in Bonn das stilistisch und inhaltlich enorm breite Spektrum avancierter Kunst vom Vorabend des Ersten Weltkriegs bis zum „Untergang des Abendlandes“ (Oswald Spengler, 1918) vor Augen geführt. Zwei Bilder des Vollblutmalers Lovis Corinth können gleichsam als symbolische Klammer des gesamten Ausstellungsprojektes gelesen werden: ein Selbstporträt des Künstlers im metallisch glänzenden Harnisch vom März 1914 (siehe oben), das in seinem martialischen Habitus Ausdruck chauvinistischer Gesinnung und nationalistischer Selbstgewißheit, ja Selbstüberschätzung, ist, und das Bild auf dem Boden des Ateliers verstreut herumliegender Teile derselben Ritterrüstung aus dem Jahr 1918, das auf den tiefen Fall einer geschlagenen Nation verweist.
 
Von der Vorkriegskunst zur Kunst im Kriege
 
Im ersten Raum der Ausstellung erinnert eine exemplarische Werkauswahl mit Arbeiten etwa von Picasso und Delaunay, Kandinsky und Jawlensky, Macke und Marc, Russolo und Severini an die „große schöpferische Zeit der internationalen Avantgarden“ (Katalog, S. 37) der Vorkriegsära und an ihre grenzüberschreitenden Verflechtungen. Aber es deuten sich auch Vorahnungen der kommenden Katastrophe an, so bei Alfred Kubin oder Ludwig Meidner, und die Vorstellung, von Feinden umringt zu sein, äußert sich schon vor Kriegsausbruch in Werken beispielsweise von Franz von Stuck, Ernst Barlach und Emil Nolde. Nicht wenige Intellektuelle und Künstler waren anfänglich überzeugt, daß ein Krieg als „reinigendes Gewitter“ unvermeidlich sei, um bürgerliche Verkrustungen aufzubrechen, den Ballast der Vergangenheit abzuwerfen, dem Neuen Bahn zu brechen und den „Materialismus“ durch eine zukünftige Epoche des „Geistigen“ zu überwinden. Der bei Kriegsbeginn grassierende Hurra-Patriotismus war den meisten Künstlern eher fremd; gleichwohl meldeten sie sich aus Pflichtgefühl an die Front – und fielen, so Macke schon im Sommer 1914, Franz Marc 1916.


Luigi Russolo, Revolte - Foto © Rainer K. Wick
 
Die zuvor freundschaftlichen Kontakte zwischen den Künstlern unterschiedlicher Länder, etwa zwischen Franzosen und Malern des Münchner „Blauen Reiters“, kamen mit Kriegsausbruch zum Erliegen, Lehmbruck mußte als Deutscher Paris verlassen, Kandinsky kehrte nach Rußland zurück. Der internationale Kunsthandel brach zusammen. Die Kunst selbst schien eine Zeitlang stillzustehen, hatten die Künstler doch den Malkittel und die Palette gegen die Uniform und das Gewehr eingewechselt. Dort, wo zunächst noch Kriegsbegeisterung geherrscht hatte, ließ angesichts ungeheuerer Zerstörungen und grauenhafter Erfahrungen auf den Schlachtfeldern die Ernüchterung nicht lange auf sich warten. Schwerste Traumatisierungen durch den Stellungskrieg in den Schützengräben, durch verheerende Giftgasangriffe und die vernichtende Wirkung anderer moderner Waffen ließen die Künstler nicht nur innerlich auf Distanz zum Kriegsgeschehen gehen, sondern zu entschiedenen Kriegsgegnern werden, die mit den Mitteln der Grafik, der Malerei und der Plastik deutlich gegen den destruktiven Wahnsinn des Weltkriegs opponierten. Erwähnt seien nur der eindrucksvolle „Gestürzte“ (1915-16) von Wilhelm Lehmbruck, Ernst Ludwig Kirchners „Selbstbildnis als Soldat“ (1915), Max Slevogts Grafikzyklus „Gesichte“ (1917), Willy Jaeckels Mappe „Memento“ (1915) oder Frans Masereels Holzschnittfolge „Debout les Morts“ (Steht auf Ihr Toten; 1917). Je länger der Krieg dauerte, umso schärfer wurde die Kritik und umso unverhohlener die Anklage, so etwa bei George Grosz, dessen „Feder- und Kreidezeichnungen … scharfe Abrechnungen mit dem Bürgertum“ waren und nicht beim Krieg stehenblieben, sondern jene geißelten, „die ihn angezettelt, die ihn getragen haben.“ (Katalog, S. 191) Selbst Paul Klee, der gemeinhin als „unpolitischer Künstler“ wahrgenommen wird, reagierte mit kleinen, subtilen Zeichnungen und Aquarellen auf die Situation der Zeit, allerdings wesentlich verhaltener als andere – eher indirekt und verschlüsselt wie etwa mit dem monochromen Blatt „Ansicht der schwer bedrohten Stadt Pinz“ von 1915.


Paul Klee, Ansicht der schwer bedrohten Stadt Pinz 1915 - Foto © Rainer K. Wick
 
Perspektiven einer kommenden Nachkriegskunst
 
Sammelbecken der Kriegsgegner wurde ab 1919 Zürich in der neutralen Schweiz, wo sich der Dadaismus als internationale

Waldimir Tatlin, Konterrelief 1911- Foto © Wick
Protestbewegung formierte. In dem von Hugo Ball und Emmy Hennings gegründeten „Cabaret Voltaire“ kam es zu schockierenden, ästhetisch neuartigen Formulierungen, mit denen die Sinnlosigkeit des Krieges angeprangert und die Bourgeoisie attackiert wurde. Der rumänische Dichter Tristan Tzara und der Rumäne Marcel Janco schlossen sich dieser revolutionären und für die Kunst des 20. Jahrhunderts folgenreichen Bewegung ebenso an wie der Elsässer Hans Arp und der Deutsche Richard Huelsenbeck. Marcel Duchamp, Erfinder des Ready-mades, ging für einige Jahre in die USA und gründete dort „New York Dada“. Und im russischen Petrograd (St. Petersburg) führte Kasimir Malewitsch mit seinem „Schwarzen Quadrat“ (1915) die Kunst auf ihren Nullpunkt zurück, während sein großer Rivale Wladimir Tatlin um 1916 seine sog. Konterreliefs schuf und damit einen wegweisenden Beitrag zur Objektkunst des letzten Jahrhunderts leistete. Dada und Malewitsch sind in der Bonner Ausstellung u.a. mit interessanten Fotodokumenten präsent, Tatlin mit der Rekonstruktion eines seiner Konterreliefs. Obwohl mitten im Krieg entstanden, sind hier Zerstörung und Tod ebensowenig spür- und greifbar wie in einem „Metaphysischen Stilleben“ (1916-18) von Carlo Carrà oder dem neoklassizistischen Gemälde „Maternità“ (1916) von Gino Severini, zwei ehemaligen italienischen Futuristen, die anfänglich noch die Programmatik des von Tommaso Marinetti 1909 formulierten „Futuristischen Manifestes“ geteilt hatten: „Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt – den Militarismus, den Patriotismus …“, sich nun aber auf neuen Wegen in Richtung Magischer

Gino Severini, Maternità 1916 - Foto © Wick
Realismus, Surrealismus und Neuer Sachlichkeit bewegten. So deuten sich in der letzten Sektion der überaus sehenswerten, materialreichen und klug inszenierten Ausstellung „1914. Die Avantgarden im Kampf“ bereits keimhaft Perspektiven einer pluralistischen Kunst an, die erst nach 1918 zur Entfaltung gelangte und Breitenwirkung erzielte. – Begleitet wird die Ausstellung von einem reich bebilderten Katalogbuch mit informativen Textbeiträgen diverser Fachautoren.
 
1914. Die Avantgarden im Kampf
8. November 2013 bis 23. Februar 2014
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Friedrich-Ebert-Allee 4
53113 Bonn
Katalogbuch „1914. Die Avantgarden im Kampf“, hrsg. v. d. Bundeskunsthalle Bonn, Format 24,5 x 28 cm, Hardcover, 352 S. mit 400 farbigen Abbildungen, Preis der Museumsausgabe 39 €
 
 
Alle Fotos © Rainer K. Wick