Das Ende einer Ära

Ein Hauptstadtfeuilleton

von Jörg Aufenanger

Das Ende einer Ära
 
Es war Kult, nun ist es zur Legende geworden, das Hotel Bogota an der Ecke zum Berliner Kurfürstendamm. Am Sonntagmorgen, dem 15. Dezember 2013 hat es seine Pforten für immer geschlossen, nachdem es in den letzten Wochen noch einige Endspiele gegeben hatte. So auch am letzten Tag, als eine Kehrausparty auf allen vier Etagen noch einmal ehemalige Hotelgäste, Schaulustige und Liebhaber des unvergleichlichen Charmes des „Bogota“ angelockt hatte: Noch einmal Swing im großen Saal, Tango im Salon und literarische Lesungen durch die Künstlerinitiative ImWestenWasNeues in der vierten Etage unter den Photos der Modefotografin Yva.
Mit dem „Bogota“ verschwindet nicht nur ein unvergleichliches Hotel, sondern auch ein Ort Berliner und deutscher Geschichte, die sich in der Schlüterstraße 45 in Charlottenburg, so widersprüchlich wie sie nun einmal ist, spiegelt.
 
In den Zwanziger und Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte die Photographin Ernestine Neuländer, die sich Yva nannte, hier ihr

Foto © Fridolin Freudenfett/Peter Kuley
Atelier, in dem sie ihre Modelle eine geschwungene Holztreppe herunter steigen ließ oder sie auf einen Stuhl setzte, die Beine übergeschlagen, damit sie die neueste Strumpfmode propagierten. Die vierte Etage des Hauses beherbergte bis jetzt ein kleines Museum ihrer Bilder. Helmut Neustätter, der sich im amerikanischen Exil Helmut Newton nennen sollte, war hier ihr Schüler und bis zu seinem Tod vor wenigen Jahren auch Gast des „Bogota“. Yva mußte als Jüdin 1939 ihr Atelier aufgeben, wurde deportiert und 1942 in Maydanek ermordet.
Die Perfidie der Geschichte wollte es, ass dann in den Vierziger Jahren die Reichskulturkammer in das Haus zog und Hans Hinkel im jetzigen Salon sein Büro führte, während im Kinosaal des Erdgeschosses Filme gesichtet und zugelassen oder verboten wurden. Daran erinnert heute noch eine Holzleiste an der Decke, in die ein kaum sichtbares Loch und eine rote Lampe eingelassen sind, die aufleuchtete, wenn ein Film gezeigt wurde.
Mit Kriegsende verschwanden Hinkel und seine Reichkulturkammer im Orkus der Geschichte, es zogen Künstler der „Kammer der Kunstschaffenden“ ein und hängten Bilder, die bis dahin verfemt waren, an die Wände, so Bilder von Carl Hofer. Ort der ersten Berliner Kunstausstellung nach dem Ende der Diktatur.
Doch eine weitere Wendung der Geschichte trat hinzu. Im ehemaligen Büro Hinkels fanden nun die Entnazifizierungsgespräche statt, geleitet von englischen Offizieren mit Hilfe zurückgekehrter deutscher Emigranten. Man lud Wilhelm Furtwängler, Gustaf Gründgens, Grete Weiser, Heinz Rühmann und viele andere vor, die sich zu verantworten hatten für ihre Rolle im Dritten Reich und sich mehr oder minder geschickt, wie Furtwängler, aus ihrer Verstrickung herauszureden suchten, „ein Künstler ist ein Künstler“ und sonst nicht und lehnten wie Gründgens eine „Einzelschuld“ ab.
 

Foto: Yva
Im August 1945 gründete sich im ehemaligen Kinosaal „Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung“ unter der Leitung des Schriftstellers Johannes R. Becher und des Malers Max Pechstein, der die Sektion bildende Kunst leitete und auch den Bildhauer Georg Kolbe dafür gewann. Erst als der Saal zu klein wurde, zog man in die Jägerstraße, wo vormals der „Club der Millionäre“ residiert hatte.
In den folgenden Jahren befanden sich vier Etagenpensionen, unter anderem der Bergische Hof, im Haus, die 1967 vereint wurden zum „Hotel Bogota“ durch Heinz Rewald. Er hatte die Jahre des Nationalsozialismus im kolumbianischen Exil verbracht, nannte daher sein neues Hotel „Bogota“. 1976 übernahm die Familie Rissmann es und führte es in der nunmehr zweiten Generation bis zu diesem Dezembertag 2013. Mietschulden waren aufgelaufen, so daß der Besitzer der Immobilie, der auch Eigner vieler umliegender Kudammhäuser ist, der Familie Rissmann gekündigt hat. Ein Privathotel mit 150 Zimmern ist heutzutage in Berlin nicht mehr rentabel zu führen, da an jeder freien Ecke der Stadt neue Hotels in allen Preissegmenten entstanden sind. Gegen die Konkurrenz gesichtsloser Kettenhotels in ihrer cleanen, uniformen Tristesse kann der morbide Charme eines Traditionshotels nicht bestehen. Stammgäste aus aller Welt reichen da nicht mehr aus, um das Bogota zu retten. Nicht wenige Amerikaner kamen immer wieder, fanden sie im „Bogota“ doch das alte Europa und das alte Berlin. Sie haben nunmehr keine zweite Heimat mehr. Doch auch Gäste aus deutschen Landen logierten oft für Wochen hier, wie jene Dame mit Hündchen vom Darß, die ihre Stammheimat Mecklenburg nur aushielt, wenn sie mehrmals im Jahr eine Woche lang im „Bogota“ Unterschlupf fand. Der Hund fand seine zweite Heimat stets sofort, rannte an der Rezeption vorüber, eine Treppe hoch bis zum Zimmer 125, wartete ungeduldig davor, bis „Frauchen“ sich eingecheckt und das Zimmer aufgeschlossen hatte.
Doch was nun? Wohin? Dame und Hündchen, so erklärten sie mir, sind unglücklich nun, wissen nicht mehr wohin in Berlin. Und das geht nicht nur ihnen so.
Die Feuilletons aller großen deutschen und Schweizer Zeitungen haben die Bogotageschichte erzählt, selbst Journale Asiens berichteten vom drohenden Untergang, Petitionen mit etwa 7.000 Unterschriften erreichten nichts. Wen hätten sie auch erreichen können?! Die Berliner Politik des Wowereitsenats interessiert die Berliner Geschichte kaum, man baut auf den Neubau von Hotels, Townhouses, Edelboutiquen, die es in der Umgebung des Bogota schon so reichlich gibt und da, wo das Hotel noch steht, bald auch geben wird. Metropole soll Berlin werden, gesichtslos und geschichtsvergessen.                        
 
Das Hotel war nicht nur ein Hotel, es war auch ein Ort der Künste.
Joachim Rissmann, auch ein Sammler von Photographie, hatte mit dem „Photoplatz“ einen Ort geschaffen, an dem regelmäßig zeitgenössische Photokunst ausgestellt wurde. Samstags und sonntags wurde im großen Saal Tango getanzt, Lesungen von ImWestenWasNeues und anderen füllten den Salon und dienstags wurde Swing gespielt und getanzt. Der letzte Swingabend am 10. Dezember war eine sowohl heitere als auch sentimentale Session, als Papa Henschel, ein Urgestein der Berliner Jazzszene, in Abwandlung eines Evergreens „Bye Bye Bogota“ sang.
Manche heimliche Träne floß da. Wehmut lag schon seit Wochen über dem „Bogota“. Nun existiert es nicht mehr, Berlin verschwindet, Stück für Stück. Kleinode wie das „Bogota“ passen nicht mehr zur Businessmeile Kudamm, einst die Lebensader Berlins. Und Leben, das gab es im „Bogota“ täglich.
 
 
 
© 2013 Jörg Aufenanger

Redaktion: Frank Becker