Kabarett! Was sonst?
Eine Inventur aus Anlaß 100 Jahre Kabarett (18.1.2001).
2007 fortgeschrieben für ZDF Online. Jetzt in den Musenblättern! Von Jürgen Kessler.
Weltumwerfend war dieser wenig politische, eher operettenhafte Start nicht: Ein Vergnügungskabarett mit 650 Plätzen. Allerdings folgten schon fünf Tage später mit Max Reinhardts Schall und Rauch und im April 1901 mit den Münchener Elf Scharfrichtern die kritisch-frechen Varianten. Frank Wedekind, herausragender Satiriker der Kaiserzeit, singt hier wie im von Kathi Kobus geleiteten Münchner Simpl, dem langlebigsten Kabarett der Gründerjahre, seine gegen Prüderie und Spießertum gerichteten Lautenlieder. Fast aus dem Stand eroberte sich die neue Kunstform ihr Publikum im großstädtischen Kulturbetrieb, um dennoch bereits nach drei Jahren totgesagt zu werden. Über hundert Jahre später straft die Sammlung des Deutschen Kabarettarchivs den Skeptizismus der Medien von gestern und heute Lügen: Mehr als achtzigtausend Namen sind dort erfasst, unter denen Spuren kabarettistischen Wirkens nach den Regeln der Kunst archiviert sind, Vorläufer und ideelle Leitfiguren inklusive, wie etwa der fiktive Till Eulenspiegel, dessen aufmüpfig-kreativer Geist in den Köpfen vieler Nachgeborenen nistete und so bis heute als Spötter auf Erden überlebt hat. Abgeguckt hatte man die große Kunst der kleinen Bühnenform in Paris, wo zwanzig Jahre zuvor das erste Cabaret in der Künstlerkaschemme Le Chat Noir am Montmartre das Licht der Welt erblickt
Was darf die Satire? Alles.
Aber nicht alles ist Satire, was sich später dafür ausgeben wird. Kurt Tucholsky und Walter Mehring sind die herausragenden Kabarettautoren der aufregenden zwanziger Jahre: Chronisten einer allein gelassenen Republik, Wortführer kämpferischer Satire, die daneben aber auch Poetisches oder hinreißend Komisches zur Unterhaltung ihres Publikums schrieben. Die Mischung machte es. Nicht umsonst bezeichnet der Begriff Cabaret auch die in Fächer eingeteilte Hors d' Oeuvre-Platte: Immer bereit zum bissig-bunten Nebeneinander verschiedener Formen und Inhalte. In der Plattenmitte befand sich das Fach für die alles verbindende Soße. Diese Rolle kam dem Présentateur oder Conférencier zu. Rodolphe Salis, Gründer des Le Chat Noir, war der erste seiner Zunft.
Für Bert Brecht diente Kabarett als Anregung für seine Theorie vom epischen Theater. Mit den Couplets eines Otto Reutter, den Chansons der Friedrich Hollaender und Rudolf Nelson, gesungen
Druckwerke vieler Satiriker gingen am 10. Mai 1933 in Nazi-Flammen auf. Viele Kabarettisten und Satiriker verbrachten das so genannte tausendjährige Reich zum Teil im Exil, zum Teil im KZ, Erich Mühsam, Fritz Grünbaum und Kurt Gerron etwa, die in Oranienburg, Dachau und Auschwitz ermordet wurden.
Sich fügen heißt lügen.
Nach dem zweiten verlorenen Weltkrieg, das ganze moralische Desaster noch nicht überblickend, beginnt eine wahre Renaissance des Kabaretts. In "Trizonesien" singt Ursula Herking im "Marschlied 45" trotzig-melancholisch: "Wir haben ja den Kopf noch fest auf dem Hals" (Edmund Nick / Erich
In der DDR richtete es sich über die vier Jahrzehnte mehr oder weniger mühelos in den Grenzen der real existierenden Zensur ein, im Zweifel von der besseren Sache des Sozialismus überzeugt. Allen voran Wolf Biermann, betreten gesellschaftskritische Liedermacher in Ost und West die Szene. Mit ihrer Emotionalität ergänzen und befruchten sie das zu Zeiten der Studentenbewegung eher rational argumentierende Kabarett. Mit Franz-Josef Degenhardt singt es im Westen in den Sechzigern gegen den Vormarsch der Neonazis an, agitiert mit der APO (außerparlamentarische Opposition) in die aufgewühlten siebziger Jahre hinein, von Schobert & Black bis zu den "Scherben", von Dietrich
Seitdem ist parteiliches, politisch begründetes Engagement generell, hinter die reine Unterhaltung zurückgetreten. Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, mit denen man einst die Verhältnisse umschmeißen wollte, wichen zum Ende des ersten deutschen Kabarettjahrhunderts häufig billigen Gags für TV-Klamauk.
McKabarett?
Es ist nicht nur für das Kabarett der neunziger Jahre symptomatisch und man sollte es längst nicht allein den aktiven Künstlern anlasten: Die Globalisierung der Unterhaltungsformate, schlichter: die Übernahme von noch mehr amerikanischen Mustern, vor allem durch die Privatsender, die Einführung neuer Vermarktungsstrategien, zeitigten ihre Wirkung. Die Welt geriet wie nie zuvor zum Marktplatz der Eitelkeiten für den Tanz ums goldene Kalb. Auf dem standen schon die Enkel von Mickey, Marx und Coca Cola, bereit für durchgreifende McDonaldisierung: Formen des Kabaretts wurden TV-gefällig formatiert und aufgepeppt. Aus der Klamotte wurde die Comedy, aus dem Schwank die Sitcom (Situationskomödie, TV-Serie), aus Komikern wurden Comedians. Schnell hochgejubelt, oft platt oder roh. Im besten Falle entsteht flotte, witzige TV-Unterhaltung für Spaßverbraucher. Deren Ober-Guru Harald Schmidt machte sich in seiner nächtlichen Show mit kabarettistischen Quickies nach dem bekannten Muster "passiert - glossiert" über Gott und die Welt lustig. Schneller war keiner, dafür arbeitete er Hand in Hand mit Gag-Lieferanten und dem Boulevard als Inspirator zusammen. Josef Hader, aus der speziellen österreichischen Szene der neunziger Jahre herausragend, umkreiste in seiner ego-saftigen Performance die ewige Frage "Warum alles?" und forderte im Internet: Werdet Mitglied im Josef Hader-Fanclub. "Koofmichs" allenthalben? Selbst auf der Etage der geistreichsten Kabarettisten? Immer mehr Künstlerinnen und Künstler nutzten die neuen Vermarktungswege über das Internet für ihre kalkulierte Arbeit am zahlenden Fan. New economy auch im Kabarett. Einmal ,name.de' auf der Brust in die Kamera gehalten, spült nach der Sendung reichlich Neugierige in den Email-Kasten. So wurde Kabarett endlich zum Dienst am Kunden: Fun for Fans, verbraucher-freundlich ballastarm. Immer mehr Kabarettisten weichen politischen Kernfragen, demokratischer Verantwortung, der Verfassungswirklichkeit, Missbräuchen, religiösen und sozio-kulturellen Brennpunkten oder wirtschaftlichen Machtkonzentrationen und ihrer echten politisch-satirischen Betrachtung aus. Witze über das Äußere von Angela Merkel ("Name-Dropping" reicht) gelten schon als Ausweis für politisches Kabarett. Immer mehr Hörfunk-Animateure und Moderations-Wichtigtuer reden sich auf Satire raus, wenn sie lärmenden Tones mal eben die Gürtellinie auf Kosten anderer unterschreiten. Immer häufiger werden Späße über die kleinen Dinge des Alltags verbreitet, denen man in grenzenloser Verwunderung ausgesetzt zu sein scheint: Läppische Geschichtchen, wo doch klar sein sollte, dass gerade der deutsche Alltag in Ost und West oft nur durch echte Wunder zu überstehen ist.
Die deutsche Einheit förderte zu Tage, wie unterschiedlich auch die Kabaretts beider
Die Solisten beherrschen Ende der neunziger Jahre das Feld. Ensemblekabarett findet fast nur im Osten statt, Kabarett von Frauen fast nur im Westen. Aktuelles Kabarett mit literarischer Qualität, in der Schweiz von Franz Hohler hoch gehalten, wird rarer. Das Chansonkabarett, Sternstunden bei Georg Kreisler, fristet eher ein Nischendasein; wie es zeitgemäß funktioniert zeigen Hagen Rether, Bodo Wartke, Andreas Rebers oder Pigor & Eichhorn in eindrucksvoller Weise. Sie erhielten dafür den Deutschen Kleinkunstpreis. Der Vater aller Kleinkunstpreise war fruchtbar: Dank Forum-Theater unterhaus Mainz und ZDF/3sat seit 1972 verliehen, folgten ihm rund zweihundert Auszeichnungen im deutschen Sprachraum. Vom Satire-Löwen bis zur Kleinkunst-Pfanne: Jeder kommt mal dran, weil die Szene sich gerne selbst auf die Schultern klopft. Da sponsern schon mal Brauereien die Verleihungen oder loben selbst dicke Preise aus.
Teil 2 in Kürze - schauen sie doch ab und zu in die Musenblätter! © 2007: Jürgen Kessler. Geschäftsführer der Stiftung Deutsches Kabarettarchiv und Initiator der Sterne der Satire. Über Jahrzehnte Manager von Hanns Dieter Hüsch. |