Der Buddha im Museum

Eine stille Betrachtung

von Victor Auburtin

Foto © Frank Becker
Der Buddha im Museum

In der runden Vorhalle des Museums für Völkerkunde hockt ein großer, dicker Buddha aus vergoldetem Holz und senkt die Augen. Er ist mindestens vier Meter hoch und drei Meter breit, so daß alle Leute, die ihn sehen, sich wundern, wie er durch die ziemlich enge Tür hereingekommen sein mag. Meistens gelangen sie zum dem Schluß, daß man ihn beim Transport zersägt haben muß und daß er wahrscheinlich überhaupt so gewissermaßen ein zerlegbarer Gott ist. Und wenn sie diese Feststellung gemacht haben, gehen sie weiter, um sich die aztekischen Skulpturen zu besehen und die Trommeln der Dahomey-Neger.

Der Buddha aber hält bei allen diesen Debatten ganz still. Er hat die Augen träumend gesenkt, und seinem großen Gesicht sieht man an, daß er einst in seinem Tempel Millionen von Gebeten gehört hat. Deshalb ist es ihm auch jetzt sehr gleichgültig, was die Leute da über den Transport reden und über die Zerlegbarkeit.

Nun sind in der Vorhalle zwei Fenster angebracht, je eines auf jeder Seite der Tür. Diese Fenster liegen ziemlich hoch, so daß man von draußen nur dann hindurchschauen kann, wenn man etwa auf der Straßenbahn vorüberfährt. Das passierte mir kürzlich, und als ich beim Vorbeifahren hinblickte, sah ich im Fluge das goldene Gesicht des Gottes drin im Dunkel matt aufleuchten; erst durch das eine Fenster, dann durch das andere. Und seitdem ich diese Merkwürdigkeit entdeckt habe, fahre ich so oft wie möglich da vorüber und sehe aus dem Lärm und dem Hasten meines Lebensbetriebes zu dem stillen Gott hin, der schweigt und die Augen schließt und vor allem nichts wissen will.
Abends, wenn das Museum geschlossen ist, und er ganz alleine drin sitzt, fällt das Licht der Straßenbeleuchtung auf sein schimmerndes Gesicht. Dann aber ist es beinahe beängstigend, hinzusehen; denn dann ist sein Schlafen und Schweigen so mächtig, daß ich immer denke, die ganze Stadt hier ringsherum müsse plötzlich im Traum erstarren wie Dornröschens Märchenburg. Die Wagen stehen still, der Bankangestellte, der eben da drüben einem Mädchen nachlief, behält das linke Bein in der Luft, und in den Theatern sitzen die Premierentiger festgefroren und können nicht mit den Köpfen wackeln und nicht mit den Achseln zucken. Alles schläft; aber mitten in der Stille hockt, vier Meter hoch, der goldene Gott, hat die Augen gesenkt und die Hände in den Schoß gelegt. Und der Traum der großen, schlafenden Stadt zeigt zu ihm auf wie ein Gebet; das einzige Gebet, das seiner würdig ist und das er vielleicht erhören wird.

Victor Auburtin