„Betrunkene“ im Schauspielhaus Düsseldorf

Schräge Premiere der Auftragskomödie des russischen Dramatikers Iwan Wyrypajew

von Andreas Rehnolt

„Betrunkene“ überzeugten im Schauspielhaus Düsseldorf
 
Schräge Premiere der Auftragskomödie des russischen Dramatikers
Iwan Wyrypajew im Großen Haus
 
 


Regie: Viktor Ryschakow - Bühne/Kostüme: Maria Tregubova - Video: Wladimir Gusjew - Musik: Alexander Manotskov - Choreografie: Oleg Gluschkow
Mit: Michael Abendroth, Jonas Anders, Gabriel von Berlepsch, Wojo van Brouwer, Christian Ehrich, Jennifer Frank, Daniel Fries, Rainer Galke, Sarah Hostettler, Claudia Hübbecker, Dirk Ossig, Verena Reichhardt, Stefanie Rösner, Patrizia Wapinska 
 
Vielleicht sollte man vor dem Besuch der neuesten Produktion des Düsseldorfer Schauspielhauses, der Auftragskomödie „Betrunkene“ des russischen Dramatikers Iwan Wyrypajew ein oder zwei Gläschen getrunken haben. Dann kommt man möglicherweise schneller rein in die wahrhaft schräge und grelle Inszenierung, die am vergangenen Samstag im Großen Haus des von Personalproblemen geplagten Theaters Premiere hatte. Aber auch im nüchternen Zustand begeistert die rund zweistündige Produktion, bei der sich das Ensemble der Bühne so richtig austoben kann.
 
Es geht - wie schon der Titel sagt - um Betrunkene, die sich in irgendeiner Stadt in irgendeinem Land nächtens über den Weg laufen oder besser gesagt torkeln. Marta (Patrizia Wapinska), die im Abendkleid von irgendeiner Feier auf dem Weg nach Hause ist und dabei über die eigenen Füße stolpert, trifft auf den ebenso betrunkenen Mark (großartig: Dirk Ossig), der sich mit Fliege und seidenem Kummerbund lallend als Chef eines Internationalen Filmfestivals vorstellt, um dann lallend ins Publikum zu fragen: „Wer hat keine Angst davor, Krebs zu bekommen?“
Eine Antwort erhält er nicht. Dafür tauchen nach und nach weitere nächtliche Zecher auf der Bühne auf. Banker, PR-Manager, Industriebosse - dabei Vorzeigefrauen, Models und Prostituierte. Allesamt scheinen hackevoll zu sein, obwohl auf der Bühne nicht ein einziger Tropfen getrunken wird. Müssen halt zuvor reichlich geschluckt haben, denkt sich der Rezensent. Mal wird getanzt, mal wird geschwankt, mal wird auf allen Vieren gekrabbelt und der Kriechgang zum Übergeben angetreten. Auch davon sieht der Zuschauer - Gott sei's gedankt nichts - kann es sich aber vorstellen.
 
Besoffene, das weiß man spätestens vom eigenen Abitur-Ball oder dem der Kinder, sagen oft oder immer die Wahrheit, weil ihnen irgendein Kontrollmechanismus abhanden gekommen ist. Und das ist die Stärke des Stücks, das lallend, redundant und teils mit abgeschmackten Wortkaskaden daherkommt. Worum es geht? Um Wahrheit eben, um die Traute, sich und seinem Gegenüber einzugestehen, daß vieles - wenn nicht alles - Fassade ist. Die Betrunkenen in dem von Viktor Ryschakow inszenierten Stück trauen sich das. Und wie. Da wird gefühlte 1000 mal Scheiße gebrüllt, 2000 mal Verficktes kritisiert und jedwedes Nehmen in Teufels Küche geschoben. Mark betont denn auch die befreiende Wichtigkeit des Gebens.
Noch bevor das Wort Gott überhaupt gefallen ist, hat man als Zuschauer begriffen, daß der hier mindestens eine Hauptrolle innehat. Wenn die vom Junggesellenabschied nach Hause radelnden besoffenen Juppies sich ein ums andere Mal gegenseitig versichern: „Wir alle sind Gott, der Leib des Herrn, ob Gute oder Schlechte“ und stammelnd eingestehen, daß jeder von ihnen „manchmal Gottes Geflüster im Herzen“ hört, da freut man sich schon auf den Sonntags-Gottesdienst nebst protestantischem Abendmahl (inklusive Wein). Doch auch die Angst vor dem Kater danach stellt sich ein.
 
Wie dem auch sei. Wenn der besoffene Bräutigam, der wenige Stunden später heiraten soll, an der nächtlichen Laterne ein Mädchen trifft, das ihn auf der Stelle heiraten will und einer der Kumpels, der angeblich einen katholischen Priester als Bruder hat, beide traut, wenn in betrunkener Pärchen-Runde ein grandioser Michael Abendroth als Banker Karl seiner Lina (Verena Reichhhardt) lallend gesteht, sie mindestens zehnmal betrogen zu haben und wenn derselbe Karl nächtens auf der Straße von einer völlig unbekannten jungen Frau angesprochen wird, die ihm ihre Liebe gesteht, dann wünscht sich der eine oder andere Zuschauer sicherlich mal wieder so einen richtigen Rausch mit all dem, was einem da möglicherweise widerfahren könnte.
Der Termin dafür ist kurz vor den „tollen Tagen“ des Karnevals nicht schlecht gewählt. Die Bühne ist genial, auch wenn sie im Verlauf des Stücks ihre Schräge verliert. Die Kostüme sind teils grell. Die 14 Darsteller sind allesamt fantastisch und köstlich, die Inszenierung rundherum gelungen und überhaupt nicht platt, wie man das von besoffenen Altstadt-Gästen in Düsseldorf erwarten könnte. Der Applaus am Ende war dann auch lang und verdient und ehrlich gemeint. Mit dem einen oder anderen Gläschen im Theaterfoyer wünscht man sich solch einen im positivsten Sinn berauschenden Theaterabend öfters.
 
Nächste Termine: heute 26. Februar, danach 7., 9., 13. und 15. März (19.30 Uhr)
 
Informationen und Trailer: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

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Redaktion: Frank Becker