Menschenschlachthaus

Das Unfaßbare des 1. Weltkriegs in einer großen Wuppertaler Kunstausstellung

von Andreas Rehnolt/Bec./Red.

Otto Dix, Der Krieg - © VG Bild-Kunst, Bonn 2014
 
„Es gab einen Willen zum Krieg
oder
Das Unfaßbare
 
Die Ausstellung „Menschenschlachthaus“
im Wuppertaler Von der Heydt-Museum
zeigt mit teils schockierenden Darstellungen
den deutsch-französischen Konflikt des 1. Weltkriegs
aus der Sicht französischer und deutscher Kunst
 
 
Wuppertal (epd) - „Die Besucher der Ausstellung sollen ein Gefühl dafür bekommen, wie grauenhaft dieser Erste Weltkrieg war. Wir wollen ihn mit unserer Ausstellung 'Menschenschlachthaus' verstehbar machen, vor allem für uns Deutsche“, sagt der Leiter des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, Dr. Gerhard Finckh bei der Präsentation der Schau, die den Ersten Weltkrieg in der französischen und deutschen Kunst vorstellt. Das Erinnern an diesen Krieg ist laut Finckh anders als etwa in England, Amerika oder Frankreich „in Deutschland nicht vorhanden.“ Die Ausstellung aus Anlaß des 100. Jahrestags des Kriegsbeginns wird morgen eröffnet und ist ab Dienstag für die Allgemeinheit zugänglich.
Für Finckh, der die Ausstellung in Kooperation mit dem Museum der Schönen Künste im französischen Reims zusammengestellt hat, steht fest: „Es gab einen Willen zum Krieg“. Und zwar sowohl bei den Deutschen, als auch bei den Franzosen. Besucher sehen beim Gang durch die bedrückende Ausstellung zu Anfang historische schwarz/weiße Filmaufnahmen mit Straßenszenen aus Paris und Berlin, den Jubel über die am 3. August 1914 ausgesprochene Kriegserklärung der Deutschen gegenüber den Franzosen, später auf lebens- und überlebensgroßen Flächen erschüttelnde Filmaufnahmen von Kampfhandlungen. Auf deutscher Seite sind zur Einstimmung unter anderem Büsten von Feldmarschall von Hindenburg und Kaiser Wilhelm II zu sehen, auf französischer Seite neben anderen die verantwortlichen Generäle Joffre und Castelnau. Die deutsche Satire-Zeitschrift „Simplicissimus“ zeigt Generäle auf der Titelseite und läßt einen sagen, er „hoffe, daß der Krieg zur beiderseitigen Zufriedenheit ausfällt.“


Franz Marc, Soldat im Irrenhaus - Foto  Frank Becker 
 
Bilder vom Krieg machen Schrecken, Elend, Entbehrung, Gewalt und Tod erkennbar, die zum Alltag in den Schützengräben auf beiden Seiten gehörten. Es sind meist kleine Skizzen, Zeichnungen oder Aquarelle. Viele deutsche Künstler wie Franz Marc, August Macke, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Max Beckmann oder Otto DIx hatten sich freiwillig für den Kriegsdienst gemeldet. Bei den französischen Künstlern gab es nach den Worten von David Liot, dem Direktor des Museums der Schönen Künste in Reims, sogar eine Art „religiöser Hinwendung“ zum Krieg.
Doch die anfängliche Euphorie verlor sich nach nur wenigen Wochen des fürchterlichen Krieges. Bilder tragen Titel wie „Die 155er Feldhaubitze im Wald von Coucy“, „Granat-Trichter mit Leuchtkugeln oder „Explosion einer Granate“. Ein Kernstück der Schau stellen Otto Dix'  50 Radierungen dar, die er in der Mappe „Der Krieg“ vereinte. Verwundete, Tote in und auf Schützengräben, abgerissene Gliedmaßen, Leichenberge, Wälder von Grabkreuzen, Menschen ohne Gesichter, den Irrsinn in den Augen der Überlebenden. Dazu ein Brief von Max Beckmann von der Front, der über „die grotesken Bewegungen“ schreibt, „die die Menschen machen, wenn der Tod vorbeifliegt.“
Ein Kernstück der Ausstellung stellen Otto Dix‘ Radierungen dar, die er in der Mappe „Der Krieg“ vereinte. Alle 50 Radierungen, die zur Sammlung des Von der Heydt-Museums gehören, sind in einem Raum vereint. Von Szenen aus der Kantine über eine von Granattrichtern aufgewühlte Landschaft bis zu sterbenden Soldaten in Schützengräben, Totenköpfen und Pferdekadavern reicht dieses schaurige Kaleidoskop des Krieges - ein gezeichneter Totentanz in Goya’scher Manier. Überhaupt ist die Botschaft von Francisco de Goyas immer wieder erschreckendes „Mars frißt seine Kinder“ in allen Räumen präsent.


Gert Heinrich Wollhein, Dere Verwundete, 1919 - © 2014 Nachlaß Gert Wollheim

Ein Kapitel ist den Künstlern im Krieg gewidmet. Max Beckmanns „Selbstbildnis als Krankenpfleger“ (1915) zeigt einen tief verstörten Künstler mit skeptischem Blick. Texte belegen, was die Künstler damals dachten und fühlten. Beckmann etwa schwärmt von den Farben und träumt sich weg aus dem Krieg. Oskar Kokoschka zeigt bei seinem Selbstbildnis auf eine Stelle an seiner linken Brust, wo er selbst verwundet wurde. Otto Dix ist einmal mit Pickelhaube zu sehen; die Rückseite des gleichen Blatts zeigt ihn als Soldaten, verzerrt, verstört und geschunden vom Krieg. Gerd Wollheims „Verwundeter“ weist eine offene Bauchwunde auf – ein Bild des Grauens.
 
Szenen aus Lazaretten und Gefangenenlagern zeigt die Ausstellung ebenso, wie Bilder vom Heimat-Urlaub, Fronturlauber im Kino und die Situation fernab des Kriegsgeschehens, wo Frauen in Männerberufen ihrer Arbeit nachgehen, weil die Männer lange im Krieg sind und das Leben weiter geht. George Grosz zeichnet Hinterbliebene, Beckmann eine weinende Frau, Conrad Felixmüller malt das ängstigende Bild „Soldat im Irrenhaus“. In Francisque Poulbots Karikaturen hat der Krieg in Kinderspiele Einzug gehalten: „Ich nehme Dich gefangen“. „Aber nein, ich habe Dich eben getötet“, heißt es da oder „Der Feind, das bist Du!“ – Nein, das bist Du!“
Ein Raum in der Ausstellung ist mit Mauerresten, Artefakten und Bildern der Kathedrale von Reims gewidmet, die von den Deutschen fast völlig

Gustave Fraipont, Brand der Kathedrale von Reims
Musée des Beaux-Arts
Reims
zerstört wurde und heute als Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft symbolträchtig ist.
„Ich glaube nicht, daß der Erste Weltkrieg die Kunst befördert hat. Ganz im Gegenteil. Ich sehe, daß die Künstler trotz aller Bemühen, den Krieg zu malen, es nicht geschafft haben. Das Grauen war nicht malbar. Erst in den Fotografien und Filmaufnahmen werden die Schrecken und das Elend des Ersten Weltkriegs intensiv vermittelt“, meint Museumsdirektor Gerhard Finckh am Ende des Rundgangs. Die klassische, herkömmliche Kunst „konnte diesem Ereignis nicht mehr gerecht werden“. Die Ausstellung in Wuppertal wird bis zum 27. Juli gezeigt. Am 12. September soll sie in Reims von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Francois Hollande eröffnet werden.
 
Insgesamt 350 Ausstellungsstücke wurden für die Ausstelung zusammengetragen, davon zu gleichen Teilen je 160 von Reims und von Wuppertal. 30 weitere Objekte stammen von anderen Leihgebern. Anläßlich der unerhörten Flut von Ausstellungen zum 1. Weltkrieg, die derzeit über die Museumsbesucher der Republik hereinbricht, war es eine kluge Entscheidung, diese Ausstellung auf den deutsch-französischen Kriegsschauplatz zu begrenzen.
Der Titel der Ausstellung ist dem Bestseller „Das Menschenschlachthaus - Bilder vom kommenden Krieg“ entlehnt. Der Roman des Hamburger Volksschullehrers Wilhelm Lamszus nahm bereits 1912 die Schrecken des Ersten Weltkriegs vorweg und löste damals einen Skandal aus. In der Geschichte über einen jungen Familienvater, der begeistert gegen die Franzosen ins Feld zieht, heiß es an einer Stelle: „Da draußen liege Arme, Beine, Köpfe, Rümpfe ....die heulen in die Nacht hinaus, das ganze Regiment liegt dort zerfetzt am Boden, ein Menschenklumpen, der zum Himmel schreit.“ Auszüge aus dem Text finden sich in der Ausstellung. Das kleine Buch ist neben anderer Anti-Kriegsliteratur jener Zeit in einer Vitrine zu sehen.

Den Abschluß bildet ein zweigeteilter Raum, der sich der Revolution, dem Wiedererstarken konservativer Kräfte und der Zeit nach dem Krieg


Foto © Frank Becker
widmet: „Deutsche Kunst nach 1918“ und „Französische Kunst nach 1918“. Die alte Welt und ihre Ordnung waren untergegangen, die alten Kunstformen hatten keinen Bestand mehr. Ein Neuanfang stand an. In Deutschland entwickelten sich beispielsweise die Neue Sachlichkeit mit ihren klaren Linien, in Frankreich wendete man sich einer Art Neo-Klassizismus zu. Manche mussten noch die Traumata verarbeiten, andere gingen erschreckend schnell zu einer Normalität über, die sich in den 1920er Jahren in fast schon heiteren Bildern widerspiegelt. Bedeutende Künstler haben sich des Themas Krieg angenommen, doch kaum einen gelang eine formal bedeutende Umsetzung seiner Kriegserlebnisse. Die klassische, herkömmliche Kunst konnte diesem Ereignis nicht mehr gerecht werden, neue Medien wie die Fotografie und der Film traten an ihre Stelle und vermitteln zum Teil noch intensiver als die Malerei die Schrecken und das Elend des Ersten Weltkriegs.

Wer die Wuppertaler Ausstellung besucht und aufmerksam durchschreitet, sollte sich wenigstens zwei Stunden Zeit dafür nehmen. Man geht durch ein Fegefeuer und sollte zumindest geläutert, wenn nicht überzeugt pazifistisch aus diesem prägenden Erlebnis hervorgehen.
 
Die Ausstellung in Wuppertal ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr und donnerstags von 11 bis 20 Uhr geöffnet.
Ein begleitender umfangreicher Katalog solide gebunden, 448 Seiten, zeigt nahezu alle Exponate in hervorragender Qualität und mit erhellenden Textbeiträgen.
Er ist für nur 25,- € im Museum zu bekommen.
 



André Derain zeigt die ganze Tragik des Krieges für das Individuum in der Skizze
des versehrten Heimkehrers, der einst Maler war. - Foto © Frank Becker


Redaktion: Frank Becker