Der Kuß der grünen Fee

Kriminelle Absinth-Geschichten (hrsg. von Ulrike Bliefert)

von Frank Becker

Absinth
 
Für die elf Erzählungen, die Ulrike Bliefert („Jauche und Levkojen“, „Tatort“, „Der Bulle und das Landei“, „Morden im Norden“) für ihre kleine Anthologie „Der Kuß der grünen Fee“ zusammengestellt hat, ist das Teufelszeug Absinth nicht mehr als ein Vehikel, das sozusagen einen grünen Faden durch das Buch spannt. Denn jede einzelne der hervorragend erzählten Geschichten ist für sich und wäre auch ohne den darum gezimmerten Rahmen und das Stichwort „Absinth“ tragfähig. Auch führt der Untertitel „Kriminelle Absinth-Geschichten“ wenn auch verkaufsfördernd auf eine falsche Spur, sind es doch keineswegs durch die Bank Krimis. Von der Französischen Revolution bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs spannt sich der Zeitrahmen, eben die Epoche der „Grünen Fee“, des segenbringenden wie zerstörerischen Elixiers Absinth, eines hochprozentigen Destillats aus Wermut, Anis, Fenchel und anderen Ingredienzien. Es war das Getränk der Maler und Dichter, die den Rausch zelebrierten, der sie später an die Grenze des Wahnsinns führte.
Die Erzählungen, die Ulrike Bliefert hier gesammelt vorlegt, stecken einen weit größeren, literarisch anspruchsvollen und historisch verknüpften Rahmen. Kathrin Lange spinnt ihre Erzählung um die „Erfindung“ des Absinth als Medizin durch Pierre Ordinaire in der unsicheren Zeit der Schrecken des Pariser Konvents, Christiane Güths „Milchkrieg“ findet seinen ländlichen Boden in der schlitzohrigen Protagonistin vs. Korrupter Justiz, Hochstapler, Dämchen, Wissenschaft und Halleysche Hysterie verflicht Aje Andrea Brücken im pulsierenden Berlin von 1910. Hat sich van Gogh wirklich das Ohr selber abgeschnitten? Peter Hoeft erzählt witzig und gut recherchiert die Geschichte hinter der Geschichte. Gisela Witte schildert in „Mädchen für alles“ eindrücklich die Rechtlosigkeit eines Berliner Dienstmädchen-Schicksals ausgangs des 19. Jahrhunderts. Eine der am tiefsten unter die Haut gehenden Erzählungen hat László I. Kish mit „Pandoras Büchse“ beigetragen: er beschreibt den fürchterlichen Einsatz von Giftgas gegen französische Soldaten durch deutsches Militär im 1. Weltkrieg bei Ypern – und seine verlogene Rechtfertigung. Sank die „Titanic“, weil der Kapitän zum Unglückszeitpunkt von Absinth berauscht war? Ulrike Blieferts Hypothese, verpackt in eine von Fakten untermauerte Hochstapler-Geschichte, besticht durch ihre Präzsion. Marie Reiners richtet in „Martha“ das Licht auf das Schicksal einer Hure auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert- ein feiner kleiner Krimi mit viel Dramatik.
D.C. Chill spinnt eine köstliche Geschichte in einen Polit-Krimi um W.I. Lenin und seine Reise im verplombten Waggon von der Schweiz durch Deutschland ins revolutionsgeschüttelte Rußland. Sind die Deutschen deshalb am Weltkommunismus zumindest zum Teil schuld? Auch diese Geschichte drumherum ist ein veritabler Krimi. Den Abschluß bildet Lisa Lohtanders Kolonialerzählung um das Dienstmädchen Magdalena, das 1899 nach Deutsch-Südwest auswandert, um dort sein Glück an der Seite eines Kolonial-Offiziers oder wohlhabenden Farmers zu machen. Lisa Lohtander läßt ungeschminkt die Arroganz der weißen „Herrenmenschen“ gegenüber den schwarzen Einheimischen deutlich werden, macht durch Tagebuch-Streiflichter aber auch die Desillusionierung der Auswanderinnen spürbar.
Ein äußerst empfehlenswertes Buch mit wertvollen Beiträgen, am besten in allabendlichen Portionen zu genießen.
 
„Der Kuß der Grünen Fee“ - Ulrike Bliefert (Hrsg.)
Kriminelle Absinth-Geschichten von Ulrike Bliefert, Marie Reiners, Aje Andrea Brücken, Kathrin Lange, Christiane Güth, Peter Hoeft, Gisela Witte, D.C. Chill, László I. Kish und Lisa Lohtander

© 2014 Dryas Verlag, Hardcover, 208 Seiten, grünes Lesebändchen - ISBN: 978-3-940855-51-0
19,95 € [D], 20,60 € [A]
 
Weitere Informationen: www.dryas.de