Unterwegs im Lande der Inka (3)

Notizen auf einer Reise in Ecuador und Peru

von Johannes Vesper

Ein Vikunja - Foto © Johannes Vesper
Unterwegs im Lande der Inka
Notizen auf einer Reise in Ecuador und Peru
 
von Johannes Vesper




22.10.13
Auf der Fahrt zum Titicaca-See. pausieren wir nach ca. 120 km in Racchi. Dort stehen die imposanten Reste eines Viracoccha-Tempels. 92 m lang und ca. 12 m hoch ist die imposante Mittelwand de praehispanischen Anlage für den alten Gott der Anden. Hier sieht man Mauern aus Adobe-Ziegeln und Naturstein, und man sieht Säulen (sonst nirgendwo im Inkareich). Wozu die zahlreichen Rundhäuser in der riesigen Inka-Anlage gedient haben, ist unklar (Speicher? Kasernen?). Endlich erreichen wir den höchsten Punkt der Reise, den La Raya Paß (4319 m ü NN). Jan breitet auf blauem Tuch neben dem Bahngleis unsere Mittagsmahlzeit aus. Die Luft wird knapp und dünn. Man bewegt sich nur langsam. Die Sauerstoffsättigung im Blut (normalerweise ca. 97-98%) wird mit dem Pulsoxymeter bei allen Mitreisenden mit durchschnittlich 82% gemessen. Bei diesem Wert schauen wir uns in Praxis und Klinik schon nach der Sauerstofflasche um. Mit Rotwein und Käse an der frischen Luft ohne nennenswerte körperliche Aktivität wird die Situation hier aber von allen problemlos vertragen.
Von der Paßhöhe geht es langsam hinab auf das Altiplano, das Hochland zwischen der Küsten-Cordillera (Cordillera occidental) und östlichen Cordillera (oriental), östlich derer sich das Amazonas-Tiefland ausbreitet.
Immer wieder erinnern kleine Friedhöfe nahe der Straße an Gefechte zwischen Armee und dem Leuchtenden Pfad in den 80er Jahren. Die Gefallenen dieser Scharmützel sind damals schnell an Ort und Stelle begraben worden. Die Stadt Juliaca muß auf nicht asphaltierten Pisten umfahren werden, da die Panamericana durch örtlichen Streik blockiert ist. Nach herrlichem Sonnenuntergang hinterm Gebirge erreichen wir gegen 22:00 Uhr in finsterer Nacht das Hotel bei Puna.


Auf der Insel Taquila im Titicacasee - Foto © Johannes Vesper
 
23.10.13
Vom Hotelzimmer über dem Titicaca-See bietet sich ein weiter Blick über das Totora-Gras vorn im Wasser bis hin zu den hohen Anden in der Ferne. Im See (3800 m über Meereshöhe, ca. 8500 qkm, zum Vergleich: Bodensee 536 qkm) wurden nach alter Andenmythologie Sonne und Mond auf den entsprechenden Inseln geboren ebenso wie der 1. Inka Manco Capac und seine Frau Mamma Oqllo. Bei dieser Sage handelt es sich aber wohl um Staatspropaganda schon in frühen praehispanischen Zeiten. Denn die ersten Inka stammen ja eigentlich aus einer Höhle in der Nähe von Cusco. Um die später eroberten Titicaca Regionen auf die Inka einzustimmen, wurde die Mythologie erweitert und der See als Ursprungsort der Inka erfunden. Mit einem kleinen Motorschiff fahren wir hinaus zu den schwimmenden Totora-Inseln der Uros, die eigentlich schon in den 1950er Jahren ausgestorben sind. Die heutigen Bewohner der schwimmenden Inseln sind eine Mischung aus ursprünglichen Uros und Aymarastämmen der Umgebung. Sie leben im Wesentlichen vom Tourismus, indem sie zeigen, wie die Inseln aufgebaut sind und wie sie selbst darauf leben. Die Inseln bestehen aus dem natürlichen Wurzelgeflecht der Totorapflanze (Binsenpflanze, kein Schilf.), auf die heute mit Nylonseilen gebundene Totorabündel geschichtet werden. Häuser und Boote sind alle aus Totora. Die Boote müssen einmal pro Jahr erneuert werden. Venedig vor 5.000 Jahren in knapp 4000 m Höhe.
Mit unserem schnellen Schiffchen rauschen wir bei strahlender Sonne ca. eine Stunde Richtung Bolivien zur Insel Taquile. Hier stricken die Männer, also wahrlich ein Weltkulturerbe (seit 2005). Hier gibt es keine Autos. In der Ferne des Südens sind Sonnen- und Mondinsel erkennbar und die hohen 6000er in Bolivien. Das Mittagessen unter leicht wehendem, großem Tuch auf einfachen Stelzen ist traumhaft ebenso wir der Spaziergang hinab zur zweiten Anlegestelle.


Abendstimmung am Titicacasee - Foto © Johannes Vesper
 
24.-25.10.13
Zum Flughafen nach Juliaca müssen wir wegen des Streik und der Straßensperrung erneut einen Umweg fahren, passieren bei der Einfahrt in die Stadt zahlreiche Adobebrennereien (Ziegeleien): Überall dampfen Ziegelöfen, dazwischen Lehmgruben. Ein chaotisches Stadtviertel. Die Asphaltstraße in das Stadtinnere ist blockiert durch Steine, Glasscherben und Bäume. Über abenteuerliche Pisten erreichen wir endlich den von der Polizei bewachten Flughafen Inca Manco Capac. Hier funktioniert die elektronische Gepäckkontrolle nicht, sodaß die Sicherheitsdamen den Blick auf Schmutzwäsche in zu öffnenden Koffern riskieren. Der Flug nach Lima geht aber pünktlich.
 
Im Museum Larco, einem wunderschönen weißen Bau mit herrlichem Blumen im Museumspark, wird noch einmal die ganze Kulturgeschichte Perus durchschritten:
Praekeramische Epoche (10000-ca. 1500 vor Chr.) mit der ältesten Stadt Amerikas Caral. Dieses Archaicum endet mit dem Auftauchen erster Keramik (2000-1000 v.Chr). Früher Horizont (1000-200 v. Chr.) (Chavin-Kultur). Bis 500 n. Chr. entwickeln sich Regionalkulturen wie die der Nazca mit ihren berühmten Linien in der Wüste und die der Moche mit umfangreicher Keramik. Der Mittlere Horizont (500-900 n. Chr.) ist vor allem durch die Huari/Wari gekennzeichnet, die mit der Terrassierung des Gebirges zur Ausweitung der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche beginnen (Andenes heißen diese Terrassen und danach werden später die Anden benannt). In der späten Zwischenperiode gewinnt das Chimu-Reich an Bedeutung und endlich tauchen die Inka auf (Später Horizont 1438- 1532).
 
Im Rundgang durch das Museum wird diese reiche Geschichte mit Keramik, Weberei und Skulptur lebendig und es wird deutlich, welch hohe

Inka-Kreamik - Foto © Johannes Vesper
Kultur sich in Lateinamerika vor den Spaniern ohne Schriftsprache, ohne das Rad und ohne Zugtiere entwickelt hat. Das amerikanische Pferd starb ca. 7000 vor Chr. zusammen mit anderen großen Säugetieren aus. Erst durch die Europäer wurden Pferd und Kuh nach Lateinamerika eingeführt.
Im Nebengebäude ist alle die Keramik ausgestellt, die nicht in die Hauptsammlung übernommen worden ist. Hier schauen alle alten Moches, alle praehispanischen Einwohner Perus wie lebend unmittelbar aus dem Regal auf die Besucher. Endlich gibt es die Abteilung des Museums, in dem die bemerkenswerte, vielfältige, sexuelle Aktivität der alten Südamerikaner keramisch dargestellt wird, bevor sie alle spanische Katholiken werden mußten. Huldigung an Fruchtbarkeitsgötter? Das ist fraglich. Kein einziger normaler Geschlechtsakt wird gezeigt. Immerhin erinnern die Veränderungen der Bauchhaut einer Skulptur an Hautveränderungen, wie sie bei der Syphilis auftreten. Diese Skulptur entspricht der Vorstellung, daß die Syphilis in Amerika endemisch war, bevor sie durch Seeleute von Kolumbus nach Europa gebracht wurde.  
Punkt 15 Uhr erscheint der Bus vor dem Museum, um uns zum Flughafen zur bringen. „Der Flughafen Jorge Chavez wimmelte von Menschen und die Schlange bei der LAN war endlos“ schreibt Mario Vargas Llosa in „Ein diskreter Held“ (Roman 2013 über Korruption und Lebensverhältnisse in Peru). Zutreffend auch heute.
 
Chinesische und westliche Rohstoffkonzerne bauen aktuell in Peru mit einheimischen Arbeitern wertvolle Rohstoffe ab. Die Analogie zu den spanischen Konquistadoren, die dem letzten Inca Atahualpa Gold und Silber abgepreßt haben, bevor sie ihn umbrachten, ist naheliegend. Auch das Gold der Kassettendecke von Santa Maria Maggiore in Rom, vom spanischen König gestiftet, stammt aus Südamerika. Die einheimische Bevölkerung Lateinamerikas, die immerhin vom Papst schon 1537 großzügig „zu Menschen“ erklärt worden war, profitiert vom Bergbau im Lande nicht und ist nach wie vor wirtschaftlich von den westlichen Industrienationen und China abhängig. Simon Bolivar hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Vision eines vereinten Lateinamerikas. Das hat er nicht erreicht. Auch Che Guevara äußerte an seinem 24. Geburtstag am 14. Juni 1952, daß Mestizen und Indigene von Mexico bis zur Magellanstraße in einem vereinten Amerika selbstbestimmt leben sollten. Viele Südamerikaner wandern heute aus, vor allem in die USA. Haben sich die sozialen Verhältnisse in Südamerika nach Bolivar und Sucre seit Beginn des 19. Jahrhunderts verbessert? Können indigene Politiker wie Evo Morales in Bolivien oder Rafael Correa in Ecuador die Verhältnisse grundlegend verbessern? Und welche Rolle spielt Europa auf diesem Kontinent?  
 
 

Foto © Johannes Vesper
 
 
Text und alle Fotografien dieses Reiseberichts © Johannes Vesper
Redaktion: Frank Becker