Der alte Mann 2

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Der alte Mann
2
 
Der alte Mann ging mit seinem Hund spazieren. Die Sonne schien über der Paderstadt, aber es war April, da ist kein Verlaß auf Sonne und Licht. Als gerade wieder ein Schauer sich mit ersten Böen und Tropfen ankündigte, floh der alte Mann mit seinem Hund ins Café Bodemann am Markt. Hier konnte er in Ruhe abwarten, bis sich der Himmel klären würde und Lichtspiele den Weg nach Hause begleiteten. Der alte Mann schlug die Speisekarte auf und war überrascht, dort keinen Hinweis auf einen Hawaiitoast zu finden. Er hatte Hunger auf einen Hawaiitoast. Draußen sollte es regnen, er würde im Trockenen sitzen und sich mit einem Hawaiitoast in die Ferne träumen. Wie enttäuscht war er, als ihm die Bedienung versicherte, daß es keinen Hawaiitoast mehr gebe. „Das kann doch gar nicht sein“, entfuhr es ihm. „Es gab doch immer einen Hawaiitoast. Ein Hawaiitoast gehört doch zum guten Ton einer Speisekarte.“ Die Frau verdrehte leicht die Augen, doch der alte Mann hatte es gesehen. „Vielleicht ist der Hawaiitoast nicht mehr so gängig“, sagte sie schnell, als wäre dies eine Erklärung für die Löschung des begehrten Artikels. „Hier gab es immer einen Hawaiitoast“, behauptete der alte Mann, obwohl er sich dessen gar nicht mehr so sicher war. Die Bedienung hob ihre Schultern, als könne sie dies nun auch nicht mehr ändern. Der alte Mann wollte sich nicht aufregen, aber es ging ihm längst nicht mehr um den Hawaiitoast, sondern um das Verschwinden einer Welt, die ihn so lange bezaubert hatte.
„Bald wird es keinen Pickert mehr geben, und dann stirbt die kalte Schnauze...“, murmelte der Mann viel zu laut. Er war empört. „Reg dich nicht so auf“, hatte seine Frau immer zu ihm gesagt. Aber er regte sich halt auf, ob er nun wollte oder nicht. Die Bedienung brachte ihm den Kaffee. „Hier kommt schon Ihr Filterkaffee“, sagte sie spitz, und betonte das Wort „Filter“ ganz laut, als wäre er nicht nur anstrengend, sondern auch schwerhörig, weil er zwei Mal nachgefragt hatte, ob es sich wirklich bei dem Kaffee um Filterkaffee handeln würde. Der alte Mann streichelte seinen Hund, als wolle er mit dessen Unterstützung seinen nächsten Wunsch vortragen. „Kann man da nicht improvisieren?“, fragte er wenig überzeugend. „Sie meinen?“ Die junge Frau stellte ihr Tablett ab und holte wieder ihren Bestellblock aus der weißen Schürze. Der alte Mann seufzte. Eigentlich glaubte er schon selbst nicht mehr an den Sinn seiner Frage. „Ich meine den Hawaiitoast“, gab er trotzdem nicht auf. „Könnte man da nicht improvisieren?“ Die junge Frau holte tief Luft, hielt sie an und stieß sie dann mit einem lauten Seufzer wieder aus. „Wir haben keine Ananas“, sagte sie schließlich kurz angebunden und ging einfach fort. Der alte Mann schaute ihr nach. Mit ein bißchen gutem Willen kann man alles hinkriegen, dachte er. Man könnte doch einen Toast bringen, den man mit rohem Schinken, Preiselbeeren (oder einer anderen exotischen Verfremdung) und Schmelzkäse belegt hätte. Man könnte den improvisierten Toast bringen und als Stimmungsaufheller einen Hula-Tanz vorführen. „Mit ein wenig gutem Willen, läßt sich alles machen“, murmelte der Mann.
Er blätterte noch einmal die Speisekarte durch. Sonderbarerweise hatte es der stramme Max geschafft, auf der Karte zu überleben. „Dieser alte Sack“, sagte der alte Mann und bestellte ihn.
 
 
 
© 2014 Erwin Grosche