Grande Dame der Aktfotografie

Karin Székessy in der Kölner Galerie „in focus“

von Rainer K. Wick

Karin Székessy- Foto © Rainer K. Wick
Grande Dame der Aktfotografie

Karin Székessy in der Kölner Galerie „in focus“
 
Nicht selten wird die Aktfotografie als Königsdisziplin der Fotografie tituliert. Als Grande Dame dieser seit den letzten Jahrzehnten enorm expandierenden Sparte gilt in Deutschland Karin Székessy, die kürzlich ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag feiern konnte. Ausschnitte aus dem Lebenswerk dieser seit mehr als einem halben Jahrhundert erfolgreich arbeitenden Fotografin zeigt derzeit die Kölner Fotogalerie „in focus“, die im letzten Jahr von der Innenstadt an die Peripherie, in den südlichen Stadtteil Rodenkirchen, umgezogen ist. 1989 von Burkhard Arnold gegründet, präsentiert die Galerie seither ausgewählte fotografische Positionen der Nachkriegsmoderne, von der Reportage-, Porträt- und Architekturfotografie bis hin zu konzeptioneller, experimenteller, inszenierter und abstrakter Fotografie. Zu den Schwerpunkten des Galerieprogramms gehört aber von Anfang an die Aktfotografie. Mit der aktuellen Ausstellung ist es dem Galeristen gelungen, eine der prominentesten Vertreterinnen dieses Genres zu präsentieren, das traditionell von Fotografen und ihrem „männlichen Blick“ beherrscht wird.

Schon kurz nach Erfindung des fotografischen Verfahrens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte die Aktfotografie einen enormen Aufschwung. Für die Arbeit des bildenden Künstlers entstanden die sog. Akademien, Aktfotos mit den üblichen Modellposen, die als Zeichen- und Malvorlagen dienten. Einer der prominentsten Maler, die sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts derartiger „Akademien“ bedienten, war Eugène Delacroix, und diesem Beispiel folgten bald darauf zahllose andere Künstler. Teilweise fertigten sie auch eigene Aktfotos an, nach denen sie malten, so um 1900 zum Beispiel Alphonse Mucha, Max Slevogt und Edward Munch, um nur einige namentlich zu nennen.
 
 
 Anton mit zwei Modellen,1970

Gerade im prüden viktorianischen Zeitalter mit seiner Doppelmoral bediente das Aktfoto einen unabweisbaren voyeuristischen Bedarf. Während den sog. Akademien tatsächlich meist ein ausgesprochen „akademischer“ Touch zueigen war, tauchten fast gleichzeitig deutlich pikantere fotografische Inszenierungen auf, die von männlichen Kunden sehr geschätzt wurden. Besonders beliebt waren seit den 1850er Jahren die erotischen Stereo-Daguerreotypien, Fotos, die kaum oder gar nicht bekleidete Damen auf Betten und vor drapierten Hintergründen zeigten und eine schwülstige Boudoiratmosphäre suggerierten. Um dem fotografierten Aktbild gesellschaftliche Akzeptanz zu sichern, gab es auch Fotografen, die sich in Anlehnung an die damals populäre historistische Monumentalmalerei, ja in Konkurrenz zu ihr, mythologischen Stoffen oder allegorischen Themen zuwandten und dabei darauf spekulierten, so dem Verdacht des Voyeurismus entgehen zu können.

 
 Betty und drei Schwestern (Provence), 1985
 
Historisch betrachtet gehören gerade in der Aktfotografie stete Grenzerweiterungen zur Tagesordnung, sind also „normal“. Allerdings werden inzwischen die Grenzen zur Pornografie häufig nicht nur gestreift, sondern im Sinne gezielter Tabubrüche auch überschritten. Im wohltuenden Kontrast dazu präsentiert sich das fotografische Werkschaffen von Karin Székessy, deren Aktfotos schon früh unter anderem durch die schöpferische Zusammenarbeit mit ihrem Mann, dem 2010 verstorbenen Maler, Grafiker und Bronzeplastiker Paul Wunderlich, bekannt wurden (1977 breit dokumentiert in dem Buch „Correspondenzen“, herausgegeben von Fritz J. Raddatz). Es handelte sich um einen exemplarischen Dialog zwischen Fotografie und Malerei, in dem beide Künstler sowohl gebend als auch nehmend waren, in dem der Maler aber trotz aller subjektiven Umformungen immer nah an dem von seiner Frau geschaffenen fotografischen Ausgangsmaterial blieb – Aktbildern von raffinierter Eleganz und extravaganter Ästhetik, von subtiler Erotik und zarter Sinnlichkeit.

 
 Yvonne und Jutta, 1985

Als Aktfotografin, die bevorzugt mit weiblichen Modellen arbeitet, ist Karin Székessy in einer von Männern dominierten Fotoszene eher eine Ausnahmeerscheinung. Im Unterschied zu anderen Fotokünstlerinnen beteiligt sie sich dabei nicht am feministischen Diskurs mancher ihrer Kolleginnen, die mit fotografischen Mitteln emanzipatorische Ziele zu erreichen bzw. Frauenpolitik zu betreiben suchen. Vielmehr sind ihre Fotos Huldigungen an die weibliche Schönheit, was keineswegs ausschließt, daß die von ihr fotografierten jungen Frauen ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein zeigen. In der Regel arbeitet die Fotografin nicht mit Berufsmodellen, deren routinierte Posen sie nicht interessieren, sondern mit Bekannten, Freundinnen oder anderen Personen, zu denen sie ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen konnte. Man traf sich zunächst „bei Kaffe und Kuchen und experimentierte gemeinsam mit neuen Bildideen“, wie Petra Olschewski schrieb. Und weiter: „Karin Székessys Modelle dürfen ihr Alltagsgesicht behalten, sie müssen sich keiner kosmetischen Verwandlung unterziehen, die aus ihrer Erscheinung ein Abbild des jeweils herrschenden Frauenideals macht.“ (Mädchen wie Stilleben. Karin Székessy, Photoedition 11, 1988)

 
 Miriam mit Hut, 1985
 
Neben Fotografien einzelner Figuren sowohl in sparsam möblierten Innenräumen als auch im Freien sind Gruppenaufnahmen – Zweier- oder Dreierkonstellationen – ein Charakteristikum der sorgfältig inszenierten Aktfotos von Karin Székessy. Die Dreierkonstellation erinnert natürlich spontan an ein kunstgeschichtlich traditionsreiches Motiv, nämlich an das der „Drei Grazien“. Manchmal verwendet die Fotografin Masken und Hüte mit breiter Krempe, die das Gesicht verbergen und so den Modellen Diskretion zusichern und damit ihren Handlungsspielraum vergrößern. Und dünne, zum Teil durchscheinende Tücher setzen ein reizvolles Spiel von Entblößung und Verhüllung, von Zeigen und Verbergen in Gang. Regelmäßig tauchen die geliebten Hunde der Fotografin auf, die den Bildern zuweilen einen fast surrealen Touch verleihen. Surreale Effekte ergeben sich auch durch den gelegentlichen Einsatz eines Superweitwinkelobjektivs, was zu ungewohnten, ästhetisch gleichwohl interessanten Formverzerrungen und zu gleichsam unwirklichen Raumwirkungen führt. Hinzu kommt häufig ein kalkulierter Gegensatz von Ruhe und Bewegung, von Statik und Dynamik, von scharf abgebildeten und durch Bewegungsunschärfe verwischt, ja wie verweht erscheinenden Partien, die eine rätselhafte Atmosphäre erzeugen.


Yeux des roses, 1995
 
„Fotografie“ heißt wörtlich übersetzt nichts anderes als Schreiben oder Zeichnen mit Licht. Abgesehen vom gestaltenden Tun des fotografierenden Subjekts (mental und handwerklich) leisten in der Fotografie tatsächlich der Apparat und das Licht einen wesentlichen Teil der „Arbeit“. Und wo Licht ist, ist auch Schatten – in zartesten Übergangen oder als harter Kontrast. Karin Székessy beherrscht beide Möglichkeiten gleichermaßen souverän. Jene Aktfotos, in denen die Körperformen von einem kräftigen, linearen Schattengerüst überzogen werden, rücken die Künstlerin in die Nähe der kühnen Fotoexperimente des „Neuen Sehens“ der 1920er Jahre, so wie sie am Bauhaus etwa von dem ungarischen Universalkünstler Lászlo Moholy-Nagy praktiziert wurden. Andere Fotos bestechen durch die fast zerbrechliche Zartheit der dargestellten Frauen und belegen die ernorme Spannbreite des fotografischen Schaffens der Künstlerin.
Dies gilt auch in thematischer Hinsicht. Obwohl in der aktuellen Ausstellung in der Galerie „in focus“ das Aktbild im Mittelpunkt steht, werden auch andere Facetten ihres umfangreichen Œuvres gezeigt: Stilleben, Landschaften und Künstlerporträts. Letztere sollen demnächst in einer Buchpublikation der breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
 

Am Fenster, 2012
 
Galerie „in focus“
Hauptstr. 114 - 50996 Köln-Rodenkichen
bis 31. Mai 2014
www.infocusgalerie.com  -  Tel. 0221/1300341
 
Preise zwischen 900 und 1.500 €