Wer waren die „Gebrüder Grimm“?

Eine Betrachtung

von Heinz Rölleke

Wer waren die
„Gebrüder Grimm“?
 
Von Heinz Rölleke
 
 
'Der gestiefelte Kater' nach Motiven aus dem Volksmärchen der Gebrüder Grimm. Fassung von Peter Raffalt“ - so liest man's in der vom „Schauspiel Wuppertal. Theater am Engelsgarten“ für die Spielzeit 2014/15 herausgegebenen Programmvorschau.
 
An dieser Anzeige ist manches (ver)wunderlich oder auch ärgerlich. In Grimms Märchen findet man den „Gestiefelten Kater“ auf Anhieb nicht; es sei denn, man hätte  einen Nachdruck der Erstauflage von 1812 zur Hand, weil sich nur dort der ab der Zweitauflage der „Kinder- und Hausmärchen“ eliminierte Text findet. Diesen kann man ernsthaft nicht als „Volksmärchen“ bezeichnen, denn es handelt sich um die Übertragung des 1697 erschienenen Kunstmärchens „Le Maître Chat ou Le Chat Botté“ von Charles Perrault. Das sind also wunderliche und fragwürdige Aussagen, wie sie sich auch wörtlich identisch bereits in den Ankündigungen des Raffalt-Stücks für das Wiener Akademietheater (November 2013) und das Burgtheater (Febraur 2014) finden, und die man einem im Genre 'Märchenspiel' so versierten Autor eigentlich ebenso wenig zutrauen möchte wie der Wuppertaler Intendanz.
 
Ärgerlich aber ist die falsche Benamsung der weltweit berühmtesten Märchensammler Jacob und Wilhelm Grimm als „Gebrüder Grimm“ ausgerechnet in Wuppertal. Die Bergische Universität galt Jahrzehnte hindurch als ein Mittelpunkt der Grimm- und Märchenforschung. Und nicht nur von hier aus, sondern auch in zahllosen Medienauftritten wurde vehement gegen diese so unsinnige wie falsche Bezeichnung angegangen – insgesamt mit wenig Erfolg, wie denn auch bei Peter Raffalt zu beobachten. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass sich Jacob und Wilhelm Grimm in ihren Werken und privat immer nur als „Brüder Grimm“ vorgestellt haben („Kinder- und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm“, so in allen Ausgaben zwischen 1812 und 1858), und so wurden sie auch im 19. Jahrhundert ausnahmslos genannt. Das sollte man schon respektieren. Es gab fünf Brüder Grimm, aber nur die beiden ältesten nahmen für sich stillschweigend und ohne Weiteres diesen Titel in Anspruch – auch weil das natürlich die einzig korrekte Bezeichnung des Brüderpaars ist. Hätten sie alle fünf Brüder als Verfasser ihrer Bücher angeben wollen, so hätte man „Gebrüder“ vielleicht durchgehen lassen können. Denn: Der 'Eiger' und der 'Rigi' sind zwei Berge, aber kein Gebirge; der Jacob und der Wilhelm Grimm sind zwei Brüder, aber keine Gebrüder. Diese Kollektivbezeichnung würde überdies die Konturen der Einzelpersönlichkeiten, auf die die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm immer Wert legten, verwischen. Wer in einem Geschäft mit der Firmierung „Gebrüder Schmitz“ einkaufen geht, dem dürfte es in der Regel gleichgültig sein, wie viele Brüder hier beteiligt sind, und auch von welchem dieser Brüder man bedient wird. Firmiert man aber unter Jacob und Wilhelm Schmitz“, dann weiß jeder Kunde, mit wem er es zu tun hat.
 
Wir sprechen mit Recht von den Brüdern (Wilhelm und Alexander) von Humboldt, (August Wilhelm und Friedrich) Schlegel, (Gerhart und Carl) Hauptmann, (Heinrich und Thomas) Mann, (Carl Friedrich und Richard) von Weizsäcker und meinen damit immer und ausnahmslos nur jeweils zwei Geschwister – und das sollte doch  bitteschön ebenso für das berühmteste deutsche Brüderpaar, die Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm, gelten.

  

© 2014 Heinz Rölleke