Verschwiegenheit

Ovids "Liebeskunst" - neu übersetzt

von Konrad Beikircher

Johann Nepomuk Geiger pinx.
 

Publius Ovidius Naso
Verschwiegenheit
Buch II 621-640
 
Früher, als noch kein Ziegel erfunden,
der uns vor Regen beschützt
und im Sommer vor Sonne,
als wir unter Eichen noch schliefen
und Eicheln noch fraßen,
suchten zum Lieben wir gerne den Wald
auf und schummrige Höhlen
denn: ganz so im Freien,
naja, da schämt man sich doch!
Heute dagegen setzt man in die Zeitung
was und mit wem man die Nacht so getrieben.
Man läßt manchen Hunderter springen
damit es auch jeder erfährt.
Du, na sicher, probierst alle durch,
egal, wo Du sie aufgerissen,
und erzählst es auch jedem:
„Die hab ich auch schon gehabt!“
Jede nimmst Du in den Mund,
auch wenn Du sie flüchtig nur kennst,
nur um mit ihr anzugeben.
Mehr noch: hättest Du wirklich
mit ihr was gehabt: Du würdest
es leugnen, so aber sagst Du:
mit jeder war ich schon im Bett.
Hatten sie nicht ihre Körper,
so haben sie doch ihre Namen:
was ihnen wirklich entging,
lasten dem Namen sie an.
Was nutzen schon Sicherheitsschlösser
an mehrfach verschlossenen Türen,
wenn es genügt,
daß einer behauptet,
er sei es -
obwohl er es nimmermehr ist?
Dein Ruf ist im Eimer.
Echtes Genießen heißt Schweigen
der Schleier erst macht den Genuß.



Ovids "Liebeskunst" - neu übersetzt von Konrad Beikircher