"A faint cold fear thrills through my veins" (Romeo und Julia, 4. Akt)

"Siroë, Re di Persia" - Oper von Georg Friedrich Händel, in Wuppertal von Georg Köhl inszeniert

von Frank Becker

 "A faint cold fear thrills through my veins"
(Romeo und Julia, Vierter Akt)

Lüge und Intrige, Folter und Verrat, Hauen, Stechen und Schießen
in der Wuppertaler Inszenierung von G.F. Händels
"Siroë, Re di Persia"



Musikalische Leitung:
Evan Christ  -  Inszenierung: Georg Köhl  -  Bühne: Peter Werner  -  Kostüme: Klaus Stump  -  Licht: Sebastian Ahrens  -  Dramaturgie: Karin Bohnert  -  Fotos:  Daniel Häker und Schmidt/www.bildautor.de

Siroë: Joslyn Rechter  -  Emira/Idaspe: Banu Böke  -  Laodice: Dorothea Brandt  -  Medarse: Yosemeh Adjej  -  Cosroe: Reinold Schreyer-Morlock  -  Arasse: Horacio Xavier Zapata Vera  -  Emira als Kind: Charlotte Pfingsten
Statisterie der Wuppertaler Bühnen
Sinfonieorchester Wuppertal

Kuddelmuddel in Persien

Rache gilt als eines der stärksten Mordmotive, das hat nicht erst die neuzeitliche Kriminologie herausgefunden. So verfolgt denn auch Emira, Prinzessin von Kambaja (Manu Böke), seit vielen Jahren den Plan, König Cosroe (Reinhold Schreyer-Morlock) von Persien umzubringen, der einst - sie war noch ein Kind - ihren Vater vor ihren Augen getötet hat. Zu diesem Behufe hat sie sich als Mann Idaspe verkleidet (auch so ein beliebter Unfug), Jahre später Zugang zum Persischen Hof und sogar zum innersten Kreis um Cosroe gefunden. Nur Kronprinz Siroë (Joslyn Rechter) entdeckt die

Kuddelmuddel in Persien - Foto © Daniel Häker
Verkleidung und natürlich verliebt er sich in die Attentäterin. Nur an der Mordverschwörung gegen den Vater mag er nicht teilnehmen, entdeckt dem König den Plan anonym und wird dennoch in der Erbfolge gegenüber den machthungrigen Medarse (Yosemeh Adjei) zurückgesetzt.  Zwischendrin flattert liebeshungrig Cosroes Geliebte Laodice (Dorothea Brandt) von Blüte zu Blüte, ohne irgendwo richtig landen zu können. Was folgt, ist vielfach verschachtelte Intrige, Lüge, Komplott, Folter, Verrat, Verhaftung, und ein unentwegt in Drohgebärden stecken bleibendes Hauen, Stechen, Schießen. Schließlich liegen auf der Bühne - jeder darf mal zugreifen und rumfuchteln - ein Dolch, ein Brotmesser, ein Schlachterbeil, ein Biedenhänder und, holla!, eine Automatik Kaliber .38 herum. Ach, was soll ich ihnen hier all den Unfug der haarsträubenden Verwicklungen erzählen, den sich ein unbekannter Librettist nach Vorlagen von Antonio Salvi (das Wuppertaler Programmheft nennt Pietro Metastasio als Verfasser) 1728 für diese eine von Händels 46 Opern ausgedacht hat. Es ist hanebüchen. Zu Recht gehört "
Siroë" deshalb zu den höchst selten aufgeführten Opern des großen Barock-Komponisten.

Gefällige Musik

Das betrifft allerdings nur Handlung und Text. Die Musik hingegen ist angenehm, sehr gefällig und - ohne sie abwerten zu wollen - hübsch. So wurde denn die von Evan Christ geleitete Aufführung der Wuppertaler Oper zum keine Minute langweiligen Ohrenschmaus mit schönen Stimmen und einem hervorragend aufgestellten Opernorchester, das sich aus den Reihen des Sinfonieorchesters Wuppertal rekrutiert. Eine ganz feine Streichergruppe, hinter die das Holz unauffällig zurück treten muß, hat dabei ihre große Stunde (genau genommen 2¾ Stunden - exakt nach Händels Vorgabe). Eine durchaus neuartige und sehr willkommene Variante der Ouvertüre hatte sich Regisseur Georg Köhl einfallen lassen: während des Vorspiels aus dem Orchestergraben werden auf der Bühne hinter

Siroë gehts ans Leder - Foto © Daniel Häker
einem Gaze-Vorhang die dramatis personae in Funktion und mit Namen durch eine Schriftprojektion ähnlich dem Menetekel des Belsazar vorgestellt. Das erweist sich bei dem späteren Kuddelmuddel als durchaus hilfreich.

Ein Extra-Punkt fürs Bühnenbild

Ein Genuß auch das prächtige Bühnenbild, welches Peter Werner aus Versatzstücken vieler Epochen stimmig zusammengefügt hat. Unter einem groß dimensionierten persischen Schlachtengemälde als Fresko über dem Thronsaal überwiegend schwarz und golden gehalten, mit heraldisch blau abgestimmtem Himmel hinter der Doppeltür zum Palastbalkon. Apropos: die Türen sind ein Traum mit Art Déco-Anmutung, stehen nur leider mit fortschreitender Handlung meist sperrangelweit offen. Die treffliche Ausstattung harmoniert farblich mit den in Champagner- und Pfirsich-Ton gestalteten Kostümen. Die allerdings sind im Detail ebenso fürchterlich wie die meisten Frisuren.

Femme fatale mit Hedder-Schleppe und zottelige Haare bei den Kerlen

Während sich Sexsymbol Laodice (Dorothea Brandt verkörpert das), eine femme fatale mit letztlich dennoch Anstand ständig auf die Schleppe tritt und mit weit ausgreifenden Armbewegungen ihr an den richtigen Stellen hoch geschlitztes bzw. tief dekolletiertes Gewand raffen muß, ist dem

Geht als femme fatale durch: Dorothea
Brandt -
Foto © Daniel Häker
verschlagenen Medarse ewig seine Haarsträhne (nur auf einer Seite, die andere ist gestutzt) im Weg und im Blickfeld. Mit der kämpft er ununterbrochen. Siroë hingegen sieht durchweg aus, als habe er sich grade eben erst eine Tüte reingezogen und seit ca. 15 Jahren jede Haarpflege eisern vermieden - fürchterlich! Lächerlich geradezu, eine mit beträchtlicher, nicht zu verbergender Oberweite ausgestattete Sängerin mit schicker Damen-Kurzfrisur als Mann zu verkaufen.  Banu Böke wirkt nach dem Umkleiden auf offener Bühne weit effektiver im Kleid.

Bühnen-Chaos

Die ersten Rangeleien um Macht, Erbfolge, Einfluß und Liebe beginnen, während noch die soeben verblichene Königin auf dem Eßtisch der Familie Cosroe bei noch nicht eingetretener Leichenstarre aufgebahrt ist. Zwischendurch geht als Mahnung, den Rachegedanken nicht zu verlieren oder vielleicht, ihn doch beiseite zu legen, immer mal der Geist Emiras als Kind (zart durchscheinend Charlotte Pfingsten) im kontrastierenden Rosa durch den Raum. Da muß sie aber aufpassen, nicht in eines der herumliegenden Mordwerkzeuge zu treten und sich nicht zu stoßen, denn es werden ohne

Geht als Mann nicht durch: Banu Böke
Foto © Daniel Häker
erkennbaren Plan Stühle umgeschmissen, was vermutlich Wut ausdrücken soll, Bücher und Spielzeug auf dem Boden verstreut und schließlich, nachdem eine Bankettszene in bildlicher Anlehnung an Leonardos "Das letzte Abendmahl" zum Schmunzeln Anlaß gab, gar der Tisch brachial umgestürzt. Aufgeräumt wird nicht. Wenn die persischen Fürsten und Meuchler grade nicht wüten oder intrigieren, lieben sie es, wie bei Kindergeburtstagen beim Figurenwerfen zu verharren, über den Boden zu robben oder dort apathisch herumzuliegen.

Beachtliche Stimmen

Über die Damen und Herren des Ensembles soll aber doch auch noch das eine oder andere Wort fallen, wenn sie auch Mühe haben, sich gegen das gewaltige Chaos auf der Bühne (und in der "Handlung" zu behaupten.  Da wäre Titelfigur und Stehaufmännchen Siroë: Joslyn Rechters warmer Mezzo kommt erst recht spät zur Entfaltung, erreicht dann aber gefühlvollen Ausdruck. Vielleicht liegt das ja an dem Aderlaß durch des Königs Dolch, denn gefoltert, gewürgt und halb ohnmächtig singt es sich anscheinend besonders klangvoll. Yosemeh Adjei gehört nicht zu den Counter-Tenören, die

Arasse: Horacio Xavier Zapat Vera
Foto © Schmidt www.bildautor.de
einen hohen Rang beanspruchen können. Zwar recht passabel in der Rolle des Medarse bleibt er im Schatten des übrigen Personals, wirkt belegt. Selbst Horacio Xavier Zapata Vera in der marginalen Rolle des treuen Vasallen Arasse hat größere Momente. Dorothea Brandt punktet nicht nur mit ihrer von der Regie wirkungsvoll benutzen reizvollen Erscheinung - stimmlich während des Spiels wachsend kann sie mit glänzenden Ariette und Rezitativen überzeugen
(die Streicher dabei immer an ihrer Seite). Jenseits aller Kritik liegt Horacio Schreyer-Morlocks wuchtiger Baß-Bariton, mit dem er kraftvoll die Bühne beherrscht. Die attraktivste Leistung kam von ihrem ersten Auftritt bis zur pfiffigen Schlußszene deutlich von Banu Böke, die souverän mit glänzendem Sopran und ohne jedes Problem funkelnd strahlendes Licht verbreitet. Das hört man mit Vergnügen.

Alles nicht so gemeint... - denkste!

Für den Schluß hat sich Georg Köhl etwas einfallen lassen. Nach zuckersüßem Happy End mit Versöhnung, Schulterklopfen und Umarmung allenthalben
(Hamwa ja eijentlich allet nich so jemeint...), albernen Kinderspielen mit Tretroller, Ball und Reise nach Jerusalem wird dann doch noch Siroë

Schräge Situation - Joslyn Rechter, Yosemeh Adjei
Foto © Daniel Häker
gekrönt, man mag kaum glauben, wie herzlich es ihm sein fieser Bruder gönnt, und auch Papa und Königs-Rentner Cosroe humpelt an Krücken nochmal ungemeuchelt auf die Szene. Dann der Knalleffekt in Sekundenschnelle (und da habe ich mit vielen Zuschauern im ausverkauften Haus herzlich gelacht): Medarse ersticht Siroë, Emira rammt Cosroe das Messer in den Leib, Arasse gibt sich die Kugel - und das ausgekochte Mörderpaar Medarse/Emira tritt gekrönt auf den sonnigen Balkon, um sich dem Volk zu zeigen....
 
"Siroë" werden sie erst im Februar 2008 wieder sehen können.

Weitere Informationen unter:  www.wuppertaler-buehnen.de