Europa mit Kutsche und Pferd

„Die Reisen des Casanova“

von Frank Becker

Titel: Casanova mit Mme. Baret
Casanovas Reisen durch Europa
 
 
„Das Dasein ist köstlich.
Man muß nur den Mut haben,
sein eigenes Leben zu führen.“
(Giacomo Casanova)
 
 
Ein früher Europäer: Giacomo Casanova (1725–1798), beinahe ständig auf Reisen, lebte u.a. in Wien, Paris, Venedig, Rom, London, Berlin, St. Petersburg, Madrid, logierte in Hotels und Gasthäusern, hatte Zutritt zu Höfen und Residenzen, wie zu ungezählten Boudoirs und Mägdekammern. Seine ruhelosen Streifzüge durch Europa haben die erotischen Phantasien zu allen Zeiten angeregt, doch war der gebildete Verführer durchaus auch oft in politischer Mission unterwegs.
Der Verlag Hatje Cantz hat den Reisen Casanovas ein schon in seinen puren Ausmaßen ungewöhnliches Buchprojekt gewidmet, das mit historische Aufnahmen aus der Frühzeit der Fotografie und charmant kolorierten Buchillustrationen von Auguste Leroux den Betrachter mit zu einigen Stationen auf Casanovas rastloser Lebens-Reise nimmt, die er mit Auszügen aus seinen Memoiren selber beschreibt.
Der opulente, in Seide gebundene Bildband im Großformat von 33 x 48 cm ist allein durch seine übergroßen Fotografien eine Pracht, eine Reise für die Augen - vermitteln diese fotografischen Zeitdokumente doch einen Eindruck davon, wie die Welt Casanovas in etwa ausgesehen haben könnte.
 
Neben seiner Lebens- und Abenteuerlust war er ein wißbegieriger und gebildeter Mann, der in jungen Jahren eine kirchliche Laufbahn verfolgte, sogar Abbé geworden war. Mehrerer Sprachen mächtig – was ihm seine Aufenthalte von Madrid bis Petersburg, von London bis Wien erleichterte – konnte er die Werke von Horaz und Ariost zitieren, spielte passabel die Violone und hatte ein ausgeprägtes Interesse an der Medizin, die er kurzfristig studiert hatte. Er war Freimaurer wie seine Zeitgenossen Mozart und Friedrich der Große, interessierte sich für die kabbalistischen Lehre, für Finanzwissenschaften und liebte die Literatur, was seinen Niederschlag in seinen berühmten Memoiren, in Romanen, Essays, Theaterstücken und Übersetzungen fand.
Mit seiner Redekunst konnte er sogar Monarchen wie Katharina die Große (der er eine Kalenderreform nahelegte), den polnischen König Stanisław II. August und Friedrich den Großen (der ihm eine Stelle als Lehrmeister anbot, die Casanova ablehnte) beeindrucken. Die bigotte Maria Theresia, Kaiserin von Österreich ließ sich allerdings davon nicht beeindrucken. Als sie erfuhr, daß der berüchtigte Verführer in Wien war, ließ sie ihn unverzüglich von den „Keuschheitskommissaren“ aus der österreichischen Hauptstadt vertreiben.
Nach eigenem Bekenntnis lebte Giacomo Casanova für das Reisen und konnte aufgrund gelegentlicher Verhaftungsdrohungen, düpierter

Duell in Paris mit Monsieur la Tour d´Auvergne
Ehemänner und gesetzwidriger Duelle ohnehin oft nicht länger an einem festen Ort bleiben. Auf seinen Streifzügen durch das Europa des 18. Jahrhunderts begegnete er nicht nur schönen Frauen und den Mächtigen seiner Zeit, sondern auch Künstlern, Literaten und Philosophen wie Voltaire, Benjamin Franklin, Johann Joachim Winckelmann und wahrscheinlich sogar Wolfgang Amadeus Mozart. Daß er als mehr oder minder mitelloser, gebrochener Mann seine letzten 13 Jahre auf dem abgelegenen böhmischen Schloß Dux des Grafen Waldstein in der Position eines Bibliothekars verbrachte, spricht dafür, daß er durch sein ausschweifendes, unstetes Leben letztlich persönlich und finanziell ausgebrannt und für die Welt nicht mehr interessant war. Seine Legende aber hat ihn überlebt.
 
Das große Format des schönen ganzseidenen Bandes und sein Gewicht machen es dem Betrachter unmöglich, ihn in der Hand zu lesen/anzuschauen, geschweige denn, ihn irgendwo mit hinzunehmen. Dieses Buch kann im Grunde nur in der heimischen Bibliothek auf einem Büchertisch oder einem soliden, übergroßen Lesestativ geöffnet werden. Etwas ungeschickt ist zum Teil die Wahl von Text-Farbe und Untergrund, durch die verschiedene Text-Passagen, insbesondere Einleitung und Vorwort, nur schwer zu lesen sind. Da wäre weniger mehr gewesen. Hingegen entfalten die z. T. doppelseitigen Fotografien und galanten Textillustrationen von Auguste Leroux (1871-1954), davon nur wenige ganz dezent erotisch, bei ihrer Größe die optimale Wirkung. Ein Buch für Liebhaber.
 
Die Reisen des Casanova

Texte von Marco Carminati und Giacomo Casanova, Illustrationen von Auguste Leroux
© 2014  Hatje Cantz, 128 Seiten, 93 Abbildungen, 33 x 48 cm, in Seide gebunden, Fadenheftung, elegante Vorsätze, schweres Papier, Texte in Deutsch und Englisch, illustrierter Index der Abbildungen
ISBN 978-3-7757-3857-6
98,- €


Europa 1763 - J. Gibson fec.

Weitere Informationen: www.hatjecantz.de