Dem Vergessen entreißen
Zeugen einer deutschen Zeit
Der Wuppertaler Verleger Alfred Miersch bemüht sich in einem Schwerpunkt seines NordPark Verlags um die literarische wie historische Aufarbeitung deutscher Vergangenheit am Beispiel der Region Bergisches Land. Zwei Bücher der jüngeren Produktion greifen das Thema auf unterschiedlichen Ebenen und aus verschiedenen Gesichtspunkten auf: Rolf Schörkens (*1928) auf eigenen Erinnerungen basierendes Sachbuch "Indianer spielen und Marschieren - Kindheit und Kinderkultur im Barmen der 1930er Jahre" und Karl Otto Mühls (*1923) autobiographischer Roman "Nackte Hunde". Beide Autoren berichten über die gleiche Zeit - mit dem im Kindheits- und Jugendalter durch den Altersabstand von 5 Jahren entscheidend anders geprägten Blick. Der eine erinnert sich an unbeschwerte Sommer, Abzählverse wie "Dubbedubbedub" und "Der König von Rom...", das Versteckspiel in Vorgärten, "Löfs" und Hinterhöfen, bei dem "leider nur sehr selten" auch die Mädchen mitmachten. Man wurde von der Realität des Dritten Reichs durch die Eltern fern gehalten. Die Hetze des "Stürmer" begriff der Junge nicht, wußte wie die Kameraden nicht das "Besondere" von Juden zu erkennen, registrierte nur am Rande den Namenswechsel an ehemals jüdischen Geschäftsfassaden. Ja, die Synagoge brannte, aber warum... An Feiertagen wurde geflaggt. Man trug HJ-Uniform, gehörte zum Bürgertum und bemerkte die fatalen Veränderungen kaum. Hitlerbilder in den Wohnstuben gab es entgegen Film-Klischees nicht. Den Kriegsbeginn erfuhr man am Rande, die Warnungen der Väter wurden überhört. Die Wahrheit über die Kriegslage erfuhr man hinter verriegelten Türen aus der BBC, der Hitler-Gruß verriet in seiner Ausführung viel über den Grüßenden. "Wie kompliziert die Wirklichkeit in einer Zeit war, in der Information ein knappes Gut war, sieht man erst beim Blick zurück", sagt Rolf Schörken. Karl Otto Mühl rundet sein Prosa-Lebenswerk mit einem weiteren autobiographisch angelehnten Roman: „Nackte Hunde“. Nach "Siebenschläfer", "Trumpeners Irrtum" und "Hungrige Könige" legt der große deutsche Dramatiker und Romancier hier ein weiteres Kapitel eines durchschnittlichen, "normalen" Lebens vor, das durch den 2. Weltkrieg und die Einberufung des Protagonisten Gustav Lautner an die Front seine einschneidende Veränderung erfährt. Nach Kampf, Überleben und Kriegsgefangenschaft kehrt der am Schicksal gereifte junge Mann in die zerbombte Heimatstadt zurück. Ein neuer Anfang muß gefunden und angepackt werden. Karl Otto Mühl, der sich in seiner Romanfigur spiegelt, hat all das erlebt. Mit seinen Büchern vermittelt er hautnah diese deutsche Zeit, entreißt sie dem immer häufiger beschworenen kollektiven Vergessen. In einer gemeinsamen (alternierenden) Lesung stellten beide Autoren gestern Abend in der Wuppertaler Buchhandlung Köndgen ihre Bücher vor. Die anschließende Gesprächsrunde mit dem zahlreichen, überwiegend ebenfalls aus Zeitzeugen bestehenden Publikum wurde zu einem hochinteressanten Mosaik von Eindrücken und Erinnerungen an eine dunkle Zeit. Weitere Informationen unter: www.nordpark-verlag.de Der Maler Jordan Böhm zeigte bei dieser Gelegenheit einige seiner 1943 unmittelbar nach den Bombenangriffen auf Barmen und Elberfeld entstandenen Zeichnungen und Aquarelle, die die Zerstörungen der Stadt dokumentieren. Jordan Böhm stellt derzeit im Wuppertaler "Ottenbrucher Bahnhof" einige seiner Arbeiten aus: www.ottenbrucher.bahnhof.de
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