Familiengeschichte

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Familiengeschichte
 
Zuhören ist ja das halbe Leben, ich zum Beispiel höre besonders gern in Frühstücksräumen zu, natürlich nicht mir, denn ich weiß ja, wie ich esse, sondern anderen, denn von denen weiß ich ja soviel wie nichts. Also, ich sitze, und zwei Tische weiter geht es schon los:
„Ob es vielleicht damit zusammenhängt, weil seine Mutter ihn zu sehr geärgert hat, als Kind, du meinst als Kind, ja aber auch später, sie war ja eine Persönlichkeit, aber alles hatte Angst vor ihr, nun ist er ja auch nicht so ganz ohne, das liegt aber wohl mehr an ihr, Herta, Herta hat ja nicht mal Abitur gemacht. Nicht. Nein hat sie nicht, ich dachte immer, obwohl heute wird da ja nicht mehr so nach gefragt, natürlich, eigentlich schade, aber ihre Mutter war ja eine geborene Wattenscheid, wie bitte, eine geborene Wattenscheid. Achso ja, jaja, ihr Mann war damals ein hohes Tier beim beim Militär, wußte ich gar nicht, doch, doch, als Arzt, in Bad Meinberg, so, Herta hat kein Abitur gemacht, und er hat mir mal gesagt, es störe ihn nicht, aber es fehle ihm nur manchmal das Gespräch, achso, ja, hm, und seine Mutter, die ja eine gebildete Frau war, war sie das, ja, ich hab sie einmal erlebt, und zwar auf der Konfirmation von Hans Peter, achja, hat ihn zwar immer nur geärgert, aber sie hat mit ihm gesprochen, Weißt du, im Gegensatz zu Herta, achso, jaja, schade, eigentlich sehr schade alles, möchtest du noch von der Erdbeermarmelade, nein danke, ich finde ja, daß sein Vater zu früh gestorben ist, Erhard hätte aus ihm einen anderen Mann gemacht, die Kinder sind ja entzückend, alle, ich bin eigentlich ganz froh, daß ich noch mal dagewesen bin, ich auch, warst du denn auch da, an Egons Geburtstag für ein Stündchen, die Älteste spielt jetzt schon Mozart-Sonaten, das hat sie von ihrem Großvater, der war ja ein Filou, aber ein großartiger Musiker, ich nehme heute keine Wurst, und öh, denn wir sind heute bei Emmi eingeladen, und du weißt doch, wie dick sie ist, aber sie hört ja nicht auf Albert, sie hört nur auf ihre Mutter, auch nicht einfach, weiß Gott, sie kocht so fettig, weißt du, aber sie läßt sich nichts sagen, auch von mir nicht, und Albert läßt sich ja alles gefallen, vielleicht hängt das damit zusammen, weil seine Mutter ihn zu sehr geärgert hat, ihn auch, na, wen denn sonst!“



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker