Musik fürs traute Heim

Eine Betrachtung über die Geschichte der Plattenspieldose

von Jürgen Koller

Symphonion, vor 1900 - Foto © Margot Koller
Musik zur Weihnachtszeit
vom Symphonion

Eine kurze Geschichte der Plattenspieldose

Musik zu konservieren, um sie zu gegebener Zeit wieder ‚abrufen’ zu können, war ein jahrhundertlanger Traum aller Musikliebhaber. Musikdarbietungen hatten noch bis in das 19. Jahrhundert hinein den Charakter temporärer Originalität. War es in frühen Jahren nur der Adel, der sich dem musikalischen Genuß hingeben konnte, zogen spätestens vom 18. Jahrhundert an populäre Konzerte auch das Bürgertum in die Konzertsäle. Die beiden großen Kirchen gestalteten das sakrale Geschehen in ihren Gotteshäusern mit Orgelspiel und Chorgesang oftmals sehr umfangreich musikalisch aus. Hausmusik gewann in den bürgerlichen Familien des Biedermeier an Bedeutung. Für die "bildungsfernen" vor allem aber auch finanziell schlecht ausgestatteten proletarischen Schichten blieben die Arbeitergesangvereine vom 19. Jahrhundert an meist die einzige Möglichkeit, sich musikalisch zu betätigen. Später kamen Spielmannszüge, Blaskapellen oder Klampfenvereine dazu.
 
Es sollte bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts dauern, als mit der Walzenspieldose endlich ein Toninformationsträger gefunden worden war, der es ermöglichte, Musikstücke mehrfach hintereinander abzuspielen. Man konnte nun nicht nur die Noten, sondern auch die Musik akustisch mit nach Hause nehmen. Allerdings war es eine zeit- und kostenaufwendige Angelegenheit, die Walze entsprechend der gewünschten Melodie mit den jeweiligen Stiften zu bestücken. Die Stifte der sich durch ein Federwerk drehenden Walze rissen beim Abspielen einen Stimmenkamm an, wodurch sich aus der Tonabfolge wieder die vorgegebene Melodie formte.

Erste Versuche, die Walze durch eine Lochplatte zu ersetzen, gehen auf den damals auf Haiti lebenden Miguel Boom im Jahre 1882 und den Engländer Ellis Parr im Jahre 1885 zurück. Der Leipziger Paul Lochmann perfektionierte sowohl das Stanzen der Lochplatten mit den kleinen Nasen als auch die Abspielmechanik. Beide Spieldosenarten verfügen jeweils über einen Stimmenkamm.
Um das Jahr 1886 gründete Lochmann in Leipzig-Gohlis die „Symphonion Musikwerke“. Diese Fabrik und die von Gustav Brachhausen und Paul Riesner – die zuvor bei den Symphonion Werken tätig waren – 1889 gegründeten „Polyphon Musikwerke“ beherrschten recht bald den europäischen Markt mit Plattenspieldosen und verdrängten die in der Schweiz ansässige  Walzenspieldosen-Fabrikation fast vollständig. Die Polyphon Musikwerke wurden die bedeutendste unter den Firmen für Plattenspieldosen. In den USA entstand 1894 die „Regina Music Box Company“, gegründet von Gustav Brachhausen, der erst bei Symphonion und später bei Polyphon führend tätig war.
Der große Vorteil der Lochplatten, die nicht nur stabiler als die Walzen waren, bestand in der vergleichsweise einfachen und preiswerten  Herstellung,  besonders in der seriellen Massen-Produktion, sodaß durch den Erwerb weiterer Lochplatten das Repertoire vergrößert werden konnte. Durch die Erfindung des sogenannten Anreiß-Rades, das zwischen Lochplatte und Stimmenkamm geschaltet wurde, konnten größere Kräfte auf die Stimmzungen übertragen werden: die Dose spielte lauter.

Die Symphonion Musikwerke  in Leipzig produzierten auch Plattenspielautomaten mit Glockenspiel in Form einer Vitrine als Münzautomat für Gaststätten. Für 5 Pfennige spielte der Automat 1,5 Minuten. Die im Ø 51 cm große Platte stand dabei senkrecht. Bei kleineren Plattenspieldosen in Holzgehäusen für den Hausgebrauch kamen Platten mit 31,5 cm  Durchmesser zum Einsatz, die sich waagerecht drehten.
Doch der Aufschwung der Plattenspieldosen - es wurden wohl einige Hunderttausend weltweit produziert - sollte nur ein kurzer sein. Fast gleichzeitig hatte der Hannoveraner Emil Berliner im Jahre 1887 ein Verfahren erfunden, Töne mechanisch auf Wachsplatten zu fixieren. Die Grundidee der späteren Schallplatte war damit gefunden worden. Dieses Verfahren löste den anfälligen Walzen- Phonographen von Thomas Alva Edison ab. Bis 1900 wurde die Aufnahme- und Wiedergabe- Technik durch Emil Berliner so verfeinert, daß bereits im Jahre 1902 dem Tenor Enrico Caruso in Italien die erste Plattenaufzeichnung gelang. Die Schellackplatte begann ihren  Siegeszug - womit der Plattenspieldose der Todesstoß versetzt wurde.

Die hier abgebildete Plattenspieldose stammt aus den Jahren vor 1900. Sie ist noch voll funktionsfähig und verfügt über einen Doppelkamm mit je 50 Zungen. Ein  kraftvolles Federwerk wird mittels einer Kurbel aufgezogen. Das noch sehr gut erhaltene Gehäuse wurde aufwändig aus Kirschbaum-Holz gearbeitet. Zur Spieldose gehören zwei Dutzend Platten - Volks- und Operettenlieder, aber auch Weihnachtslieder.
Dieses Schmuckstück in Sammlerqualität ist seit  über einem Jahrhundert in Familienbesitz. Von einer in der Gegend um Sayda im Erzgebirge ansässigen Holzdrechsler-Familie wurde das Symphonion gepflegt und über die Wirren zweier Weltkriege mit Inflation und Hungerjahren hinaus bewahrt, um von Generation zu Generation weiter gegeben zu werden.
Auch wenn der etwas hohl blecherne Klang gewöhnungsbedürftig  ist - ein Vergnügen der besonderen Art ist es doch, am Weihnachtsabend „Stille Nacht, heilige Nacht“ von der Lochplatte einer Plattenspieldose zu hören.

Informationen zum Symphonion aus:  www.spieluhr.de/spieldosen/plattenspieldose.htm.

Redaktion: Frank Becker